Wie es ist, etwas zu ändern.
Ich stelle mir das so vor:
Eines Morgens steht plötzlich der Tod vor meiner Tür und fragt: "Hast du Zeit?"
Ich murmele "jetzt nicht". Dann erst begreife ich, wer da vor mir steht, und beeile mich, nochmal lauter zu rufen:
"Auf gar keinen Fall! Ich kann jetzt nicht weg. Das ist etwas unglaublich Wichtiges, was ich hier tue!"
Er nickt. Er tut, als sei er verständnisvoll, aber ich weiß, das ist ein Trick.
Denn normalerweise ist Wichtigkeit das letzte, was ihn schert.
Er fragt: "Macht dir Spaß, was du da tust?"
Ich denke: Spaß. Spaß. Als ob es im Leben immer um Spaß geht - und merke, dass ich in seine Falle getappt bin.
"Dann kannst du ja mitkommen."
Aber ich will nicht mitkommen, nicht jetzt.
Ich will leben.
"Deswegen?", fragt er und zeigt auf den Computer, an dem ich gerade sitze. Ich eiere ein bisschen herum, weil ich gerade unzufrieden bin, genau genommen sehr unzufrieden, aber deshalb will man doch nicht das Leben aufgeben. Andere haben
es schlechter. Irgendwann höre ich auf zu reden und dann ist Stille.
"Ich mein ja nur", sagt er. "Wenn ich komme, hast du keine Wahl mehr. Vorher schon."
Dann ist der Tod weg.
Vielleicht habe ich geträumt.
Ich weiß: Der Tod ist ein Totschlagargument.
Aber er ist trotzdem ein Argument.
Weil er kommen wird und weil es gut wäre, dann sagen zu können: Okay.
Ich habe mein Leben gelebt. Und es nicht nur geduldet.
Ratgeber schlagen vor, kleine Sachen zu ändern.
Mal ein Eis essen. Mal was Nettes sagen.
Mal eine Postkarte an die Wand hängen, auf der so etwas steht wie: "Das Leben hat dich lieb."
Ich glaube aber, man kann auch etwas Großes ändern. Manchmal muss man das sogar. Das Ruder herumreißen und gegen den Wind segeln. Etwas hinter sich lassen - eine Beziehung, eine Wohnung, eine Stadt, einen Job, ein Überstundenleben,
ein eingefahrenes Selbst. Ich meine Sachen, die weh tun, weil Veränderung meistens weh tut.
Nicht aus einer Laune heraus.
Und auch nicht, weil der Chef einen grade blöd angeguckt hat oder ein anderes Problemchen im Weg liegt.
Ich rede nicht vom Weglaufen. Ich bin viel zu sehr Realistin, um mein Leben in einer Sonntagslaune über Bord zu werfen.
Ich bin die, die erst einen Segelschein macht.
Der Tod ist der, der mir zuraunt: Tu's. Du schuldest mir dein Leben.
aus "Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst"
von Susanne Niemeyer
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.04.20 21:42.