Ausprobieren
Gott ist mutig und raucht im Himmel Pfeife.
"Wenn ich mutig bin, habe ich kein schlechtes Gewissen", denkt Gott.
Er zieht an seiner Pfeife, heimlich, weil die Engel ihm das Rauchen verboten haben.
Er hat darauf gepocht, dass er Gott ist und tun kann, was er will. Schließlich kann ihm nichts etwas anhaben.
Nicht eine Pfeife, genauso wenig wie ein hungriges Krokodil oder ein Atomkrieg. Ein Atomkrieg wäre schlimm,
aber er würde bleiben. Wenn auch allein.
Die Engel sehen ihn streng an und mahnen: Er soll nicht so egoistisch sein.
Was werden die Menschen von einem Gott halten, der raucht?
"Sie sollen denken, dass ich kein Mensch bin", brummt Gott, denn diese ganze Political Correctness geht im auf die Nerven.
So nennt man das heute ja wohl. Wein darf er nicht mehr trinken wegen der Alkoholiker. Nusskuchen ist im Himmel abgeschafft wegen der Allergiker. Fußball darf er nicht mehr spielen, weil sich die Lahmen zurückgesetzt fühlen könnten und seine Pause musste genau 36,5 Minuten betragen, weil die Gewerkschaft das so will. "Aber ich bin in keiner Gewerkschaft", hatte er ge-
poltert.
"Aber du solltest solidarisch sein!", hatten die Engel ihm das Wort abgeschnitten.
Ach, denkt Gott.
Er war immer solidarisch gewesen. Mit den Schwachen war er schwach und mit den Starken stark. Mit den Fröhlichen hat er Feste gefeiert, mit den Hungrigen gehungert und mit den Übermütigen war er über Mauern gesprungen. Er hat geweint mit
den Trostlosen und gewütet mit den Zornigen. Am Ende war er mit den Sterbenden gestorben. Und dann war er mit ihnen
den Weg in den Himmel gegangen, hat sie begleitet, wenn sie nicht wussten, wie ihnen geschah.
Er war für alle da. Das hat nicht allen gefallen.
Gott seufzt. Er ist müde.
Nach ein paar Milliarden Jahren darf man vielleicht auch einmal müde sein.
Er will doch nichts anderes, als hin und wieder unter seinem Apfelbaum ein Pfeifchen rauchen.
Und wenn wirklich jemand zu husten beginnt, dann würde er die Pfeife eben ausmachen.
"Das ist nicht der Punkt", korrigieren ihn die Engel.
"Die Menschen habe eine Vorstellung von dir. Der solltest du entsprechen. Alles andere wäre eine Lüge.
Gott muss ein Vorbild sein."
Er sieht vor sich, wie es kommen wird: Gott hat Veganer zu sein, bis das überholt ist. Dann muss er sich eine Weile wie damals
in der Steinzeit von diesen fürchterlich zähen Mammuts ernähren. Wahrscheinlich wird dann Weizen wieder eine Renaissance erleben, so dass die Chancen auf Nusskuchen wieder steigen. Den ganzen Tag wird er damit zu tun haben, herauszufinden,
was gerade richtig ist.
Ach, denkt Gott ein weiteres Mal.
Wenn ich mutig wäre, würde ich die Engel zum Teufel jagen!
aus "Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst" von Susanne Niemeyer