"Es ist genug", sagt dieser Kerl, der seit Tagen auf meiner Fensterbank sitzt und behauptet, er sei ein Engel.
"Es ist genug", sagt er und nickt mir aufmunternd zu. Ich weiß nicht, woher er das weiß, aber er sagt es zu allem:
Zu einem Text, mit dem ich hadere. Zu einem Geburtstagsbuffet, das nicht reichen könnte. Zu meinen Kontoauszügen.
Zu meiner Sorge, keinen Schlaf zu bekommen und unausstehlich zu sein. Zu all den halbfertigen Sachen, dem bisschen Klavierspiel, den sporadischen Gebeten in der Nacht. Er sagt es zu meinem regelmäßig auftauchenden schlechten Gewissen. Zu meiner bangen Frage, ob ich nicht alles hätte ganz anders machen sollen. "Es ist genug".
Das merkwürdige ist, immer paßt dieser Satz. Wollte ich ihn anfangs noch anfahren, dass er das doch gar nicht wissen könne, wurde ich mit der Zeit immer ruhiger, ja, ich erwartete seine helle Stimme. "Es ist genug". Und eines Morgens antworte ich, selbstvergessen und ohne nachzudenken sagte ich "Amen". So soll es sein.
(aus "Fliegen lernen" von Susanne Niemeyer)