Liebe Irma
Ich bin auch froh, dass du den Baum hier gepflanzt hast mit Mut und Kraft, dieses Thema anzusprechen.
Es hat sich nicht nur für dich gelohnt, manche Beiträge berühren mich sehr und regen zum Nachdenken an.
Als ich einmal einen guten Vortrag besuchte, eine Psychiaterin trug ihre Erfahrungen aus der Familienhilfe und ihrer Praxisarbeit vor (sie ist 80 Jahre alt), sprach sie davon, dass sich Familienmuster über vier Generationen weiterziehen können.
Dass Erziehungsmethoden, also wenn zum Beispiel die Mutter die Kinder streng erzieht, das Kind, wenn es erwachsen ist, sich bei den eigenen Kindern auch dafür entscheidet. Oder dann entscheidet alles anders zu machen, weil es schlecht war so und ins pure Gegenteil gerät, was dann auch nicht vorteilhaft sei. Der Hang ins andere Extrem zu Geraten sei dann verlockend.
So stelle ich mir das gar nicht einfach vor, da ist dann die Mitte finden auch angesagt.
In unserer Familie kann ich nicht viele weitergetragene Muster ausmachen.
Ich bin in meiner kleinen Familie von vier Personen, also Eltern und Schwester aufgewachsen, der Kontakt zu den Grosseltern war sehr spärlich, auch Treffen mit Verwandten gab es selten.
Meine Mutter hatte eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, sehr distanziert und es gab schnell und oft Streit. Ich denke da ist früher mal etwas vorgefallen, was ich nicht weiss. Der Vater meiner Mutter war bereits verstorben, als ich geboren wurde, meine Mutter spricht nie von ihm.
Der Bruder meiner Mutter ist traditionell, konservativ. Das ist auch ein Kontrast.
Meine Mutter und mein Onkel sind intelligente, aufmerksame, wissbegierige und lernfähige Personen.
In der Familie meines Vaters zieht sich der rote Faden der psychischen Krankheiten durch, alle vor meiner Generation haben sich nicht für die Behandlung interessiert, waren nicht diagnostiziert, aber das überlieferte Verhalten spricht Bände. Da waren jetzt nicht alleine Depressionen, da waren schon Höhenflüge im Verhalten dabei, welcher Art auch immer.
Auch Familienmitglieder des Familienastes von meinem Vater, die ich als psychisch gesund erachte, verhalten sich recht aussergewöhnlich verrückt. Das ist meiner Mutter zu viel.
Meine Schwester sagte: "Ich habe schon viele Menschen getroffen, aber so eine verrückte Verwandtschaft hat niemand!"
Klar gibt es da auch Anektoden, die mein Vater davon erzählt, die zum Lachen anregen.
Ich denke dass sich das alles zusammengesetzt hat mit einer schwer traumatisierten Grossmutter, die auch an einer schweren neurologischen Krankheit litt, seit mein Vater denken kann und einem temperamentvollen, unruhigen Grossvater. Mein Grossvater war Sohn eines vertriebenen, geflohenen Osteuropäers, der dann in der Schweiz seinen sicheren Hafen gefunden hat. Viel ist da nicht bekannt, für mich ein interessantes grosses Mysterium, das viel Raum zum interpretieren lässt. Für meinen Grossvater war es sicher nicht ein einfacher Start damals, als "Secondo", wie wir sagen, Sohn eines Ausländers.
Was davon vier Generationen weitergetragen wurde, ist wie ich in letzter Zeit vermehrt festgestellt habe, ein Temperament, das so gar nicht schweizerisch ist. Ich bin aber unendlich dankbar und weiss es zu Schätzen, weil es ein Antrieb ist meine Bedürfnisse durchzusetzen im Leben, was bitter nötig ist, zu kämpfen, zu Leiden, nicht aufzugeben, weiterzumachen wie ein alter Motor, zu Überleben.
Mit den Herausforderungen, die meine Grosseltern zu Tragen hatten, war der Grundstein gelegt.
Mein Vater ist auf der einen Seite der zuverlässige Typ, kann super organisieren und hat ein Gespür für Lebenssituationen und eine gewisse psychologische Weisheit aus dam Leben. Auf der anderen Seite ist er gerne am Sprechen, kommunikativ, lebendig, manchmal sensibel, kann sich überschwänglich freuen und muss etwas aufpassen, dass wenn er begeistert ist, nicht gerade zu viel dafür gibt. Er ist eher extrovertiert. Auch das Temprerament ist in ihm, ein kleines Feuerchen, das er soweit positiv nutzt und damit umgehen kann.
Ich bestätige das, wenn Menschen mir sagen, ich habe Ähnlichkeiten mit meinem Vater. Erst fand ich das etwas komisch, aber mittlerweile freut mich das.
Meine Schwester ist eher die Ruhige, wie meine Mutter, aber ich kann sie schon aus der Reserve locken. In ihr lodert auch das väterliche feurige Temperament.
Ich glaube, dass das Ganze eine recht ausgewogene Mischung ist und so das Familienkonstrukt lange funktionieren konnte, bis meine bipolare Störung kam, es dann in tausend Glasscherben zersprang, sich neu sortieren musste und nun als neues buntes Mosaik wieder gut funktioniert.
Vielleicht hatten so meine Schwester und ich die Chance, als junge Erwachsene und jetzt so zu Werden, wie wir wollten, Freiheit (die wir lieben) und dann wieder als Familie zusammen zu Finden.
Liebe Grüsse
Milla
Mit Liebe und Ruhe betrachtet ist die Welt am Schönsten