da ich schon seit meiner Jugendzeit an Hyperakusis leide und Misophonie, kann ich deinen Leidensdruck sehr gut verstehen. So extrem, wie du das gerade hast, hatte ich es auch schon. Das störte mich das Vogelzwitschern und das normale Autorauschen (ich lebte mitten in der Großstadt)
Hyperakusis hat weniger mit Lärm zu tun (Lärm ist natürlich auch schlimm) als mit Geräuschen an sich. Das können auch leise Geräusche sein, wie du es ja auch leider bereits erfahren hast.
Hyperakusis verändert sich mit zunehmendem Alter. Oft kommen Geräusche dazu, die einen nerven. Man ist einfach reizoffener. Gerade viele ältere Menschen beklagen, dass sie unter Geräuschen leiden, die ihnen früher nichts ausmachten.
Das Kuriose bei mir ist, dass wenn ich alle Geräusche gut vertrage, mich kaum oder nichts mehr stört, kann das ein Frühwarnsymptom für eine Manie sein. Etwas Wünschenswertes wird zum Warnsignal.
Ich kann laute Stimmen auch immer weniger ertragen. Meine Wohnung grenzt fast vollständig an die Nachbarwohnung. Dort lebt ein ansonsten ruhiges Ehepaar in etwa meines Alters, die aber beide sehr laute Stimmen haben und wenig Möbel und Teppiche, die das abfangen. Und beide sind sehr "kommunikativ". Sie hat so eine Stimme ins Hysterische rein, er tief. Ich empfinde das als Blöken. Das ist fast tagtäglich eine Herausforderung. Tagsüber sind sie meist arbeiten, und glücklicherweise gehen sie mit den Hühnern ins Bett.
Ich muss das dann übertönen mit Musik oder TV. Manchmal stecke ich mir Ohropax in die Ohren, gerade wenn ich mich auf etwas konzentrieren muss.
Aber so wie du das gerade hast ist wirklich fürchterlich.
Mir hat damals ein Antidepressivum geholfen, dass die Hyperakusis wieder abgemildert wurde, als es so extrem war. Das war dann eine völlig neue Lebensqualität. Ich hätte zu dem Zeitpunkt einfach alles "gefressen" um das loszuwerden. Ich hatte Suizidgedanken obwohl ich gar nicht depressiv war aber auf dem besten Weg dahin.
Ich habe mal gelesen, dass Hyperakusis eine Art Fehlschaltung im Gehirn ist, wo die Filter nicht so funktionieren, wie sie sollten.
Was relativ neu ist bei mir: Wenn ich im Gespräch bin mit anderen Menschen und Musik von hinter mir kommt, dass ich mich dann auf das Gespräch nicht mehr konzentrieren kann. Von vor mir ist nicht so sehr das Problem (je nach Lautstärke und Inhalt und Intensität des Gesprächs)
Ich denke aber, wenn sich jetzt langsam alles wieder beruhigt bei dir, dass das besser wird. Vielleicht nicht weggeht, aber sich wesentlich bessert. Das kann dauern.Das ist dann auch schon ein großer Gewinn.
Vielleicht wirst du irgendwann mal denken "huch, da ist ja jetzt dieses schreckliche Geräusch, und es stört mich gar nicht mehr so" Das Ganze schwankt auch mit dem Stresslevel. Geräusche können Stress, und das massiv, erzeugen. Aber Stress erhöht auch die Hyperakusis. Oder kann, mal so herum, mal anders herum.
Therapien gegen Misophonie (fokussiert auf bestimmte Geräusche) und Hyperakusis (eher allgemeine Geräuschempfindlichkeit) gibt es in Deutschland bis dato wohl eher wenig. Eine Klinik in Deutschland hat sich wohl bislang darauf spezialisiert (müsste googeln, welche) Die Niederländer sind da weiter. Da wird regelrecht ein "dickeres Fell" antrainiert. Ich habe darüber mal eine Doku gesehen. Das war sehr interessant. Die haben eigens dafür ein Therapiekonzept entwickelt.
Man kommt ja auch irgendwie mit nur Entspannungsübungen da nicht weiter.
Das war jetzt lang.
Ich wünsche dir viel Kraft und Durchstehvermögen bei deinem Problem.
Alles Gute
Friday
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Nicht alles, was schwankt, ist bipolar.
Hätte ich die Kraft nichts zu tun, ich täte nichts.
Man muss sich von sich selbst nicht alles gefallen lassen.
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 18.10.22 11:35.