Liebe Foris,
genau dieses Thema brachte mich schon 2011 dazu dieses Behandlungsprotokoll zu schreiben:
der damalige Baum - Klick mich
Protokoll einer Behandlung – oder - wie breche ich einem Leben das Rückgrat
Kurz zur Einleitung.
Ich habe die Nase voll von den ewigen Diskussionen. Es stehen zwei Pole zur Verfügung:
Auf der einen Seite :
Nur eine hauptsächlich medikamentöse Therapie
(inzwischen mit ein bisschen Verhaltenstherapie und Psychoedukation)
reiche aus um die bipolare Störung in den Griff zu bekommen!
Auf der anderen Seite :
Ich bin doch nicht wahnsinnig und schlucke so viel persönlichkeitsveränderndes psychotropes Zeugs
(stattdessen mute ich mir und meiner Umwelt eine Phase nach der anderen zu, oder kann die Phasen nur
mit viel Energie und Not herunterkämpfen)!
Deshalb schreibe ich ohne weitere Wertung meinen Werdegang als bipolar Erkrankte auf.
Jeder ziehe seine eigenen Schlüsse.
Als Tochter eines akademischen Haushaltes, der früh durch Scheidung zerbrach, wuchs ich im Umfeld von
Universität und Universitätsklinikum auf. Nach einer mehr oder weniger „normalen“ Kindheit als
Scheidungswaisebeschloss ich in der zehnten Klasse Medizin zu studieren um in die Entwicklungshilfe
zu gehen. In den 70igern pubertierend hatte ich sehr viel sozialromantisches Gedankengut in mich aufgesogen
und wollte „wirklich“ helfen.
In der Schule kam ich ohne Problem gut bis sehr gut zurecht, erreichte jedoch den geforderten 1,0-Abiturschnitt
nicht. Trotzdem bekam ich überraschender Weise einen Studienplatz in Medizin (damals wurde das Ganze
noch ausgelost).
Schon während der Schulzeit war ich ein (auch durch die guten schulischen Leistungen) Außenseiter,
der immer das Gefühl hatte … entweder zu viel oder zu wenig zu sein.
Dies steigerte sich im Studium, wo ich eine der wenigen „Werkstudenten“ unter fast 400 Erstsemester Medizin
war. Der Stress, mir das Studium mangels Unterhaltszahlung meine Vaters selbst zu verdienen und
gleichzeitig der erbarmungslose Verdrängungswettkampf in einem überfüllten Studiengang, reichten
aus um bei mir die bipolare Störung manifest werden zu lassen.
Es begann mit einer schwersten, teilweise psychotischen Depression und zwei Selbstmordversuchen
(die sehr ernsthaft waren, jedoch fast slapstickartig endeten). Nach wochenlangem Dahinsiechen
zu hause, Einweisung durch den Hausarzt in eine psychosomatische Klinik.
Diagnose Borderline. Behandlung: Transaktionsanalyse und ein Präparat namens Benpon (AD).
Entlassung nach Hause. Ausgezogen, keine Nachbetreuung (seltsame Begegnung der dritten Art
mit einem Psychoanalytiker der mir riet in 20 Jahren wieder zu kommen, dann gäbe es wenigstens
was zum analysieren).
Absetzen des Medikamentes auf Anraten eines verwandten Arztes.
Entwicklung einer psychotischen Manie (klassisch) ein Jahr nachdem ich zum ersten
Mal Bekanntschaft mit der psychiatrischen Schulmedizin geschlossen hatte.
Einweisung (keine Zwangseinweisung!) auf die geschlossene Abteilung der Uniklinik des
Studienortes . Zwangsbehandlung mit Haldol. (Ich war klassisch manisch mit einem
„Verfolgungs- und Verwechslungwahn“. Weder eigen- noch fremdgefährdend.
Trotzdem behandelten mich die die Psychiater ein volles halbes Jahr geschlossen,
weil die Zwangsbehandlung mit Haldol nicht ansprach. Diagnose:
Paranoide Schizophrenie (diese Diagnose steht heute noch auf meiner Akte in dieser für ihr
bipolare Ambulanz bekannte Klinik!). Behandlung; ein Neuroleptikum nach dem anderen.
Versuch der Abschiebung in eine Rehaausbildung. Ich bin zurück ins Studium.
Es folgten immer wieder Klinikaufenthalte weil die Diagnose letztendlich falsch war, die
Medikamente nicht griffen und am Schluss musste ich mein Medizinstudium an den Nagel hängen.
In dem letzten Klinikaufenthalt (eine Anschlußbehandlung in einer anthroposophischen Psychiatrie)
wurde mir angeboten die Diagnose in biplare Störung zu ändern. Meine Rückfrage, ob das an der
Behandlung was ändern würde wurde verneint, darauf hin sagte ich nur „dann ist mir das egal.“
Ergebnis dieser turbulenten Zeit, ich begrub meine Lebenspläne, wurde MTA, schluckte ein
klassisches Neuroleptikum und arbeitete in der Forschung.
Meine Psychiaterin legte mich, wenn ich ins „rattern“ kam (so nannte sie die Hypomanien.)
mit einem weiteren Neuoleptikum drei Tage schlafen und so arbeitete ich 15 Jahre als MTA
wissenschaftlich. Nach beruflichen Veränderungen, und gleichzeitiger Überlastung landete ich
eines Tages mit einer Erschöpfungsdepression in der derselben Uniklinik wie zuvor.
Diesmal mit dem Zusatz schizoaffektiv. Wieder monatelanger Klinikaufenthalt ,
dann Tagesklinik und Verlust meines Arbeitsplatzes..
Wechsel zu einem anderen Psychiater: Wechsel der Diagnose: Bipolare Störung mit
psychotischen Manien.
Behandlung: Versuch einer Einstellung erst auf Lithium, dann auf Carbamazepin, dann auf
Valproinsäure, (gleichzeitig Verhaltenstherapie, in der sich aber in erster Linie die Gespräche
um die Einstellung der Medis drehten, da ich nach Absetzen meines gewohnten Neuroleptikums
( Fluanxol) zum Rapidcycler teilweise zum Ultrarapidcycler mutierte.
Letztendlich durch die ständigen Phasen und die ständigen Wechsel der Medikamente
(in einem Zeitraum von 7 Jahren) vollkommene Erschöpfung. Notfallmäßiges Einreichen der Rente.
2003 ein weitere Aufenthalt in der Uniklinikpsychiatrie .. zum Einstellen der Medis, da mein
behandelnder Psychiater nach Versagen aller Phasenprohylaxen nicht mehr weiter wusste.
Diagnose: ??????
Behandlung Leponex, 40 Kilo Gewichtszunahme in einem halben Jahr, totale Sedierung.
Brauchte 1,5 Jahre um aus dem Schei…..s wieder rauszukommen.
Danach mein schwor ich mir: nie wieder in eine Psychiatrie…
Wiedereinstellung auf das alte Neuroleptikum, Versuch der immer noch vorhandenen schweren
Depressionen Herr zu werden mit Lamotrigin, Selbstmordversuche.. kurzer Klinikaufenthalt in
einer anderen Klinik..
Später dauerhalfte Dazunahme zwei Antidepressiva… zu dem alten Neuroleptikum ( Fluanxol)
Seit einem halben Jahr einigermaßen stabil..
Seit 2003 in Rente… keine Möglichkeit in den Beruf zurückzukehren… in der ganzen Zeit
einen Minijob (Arbeit für einen dressierten Affen wie eine Freundin von mir mal sagte)
Über die Jahre hinweg ungebrochene Compliance.
Mit dem Ergebnis, dass dieses Leben wohl verpfuschter kaum sein kann.
Ich habe Glück, das ich mir meine Wohnung leisten kann.
An die Gründung einer Familie war nicht zu denken.
Aber das ist die gute und glückliche Behandlung durch die Schulmedizin in den letzten 30 Jahren.
Diesen langen Text habe ich vor allem für diejenigen geschrieben, die Glauben, wenn man brav ist,
macht was einem die Ärzte vorschlagen, nie ausbricht, dann kann man sein Leben mit der bipolaren
Störung zum Lohn „anständig“ verbringen.
Nein, dazu muss man Glück haben.
Dass die Medis greifen.
Denn letztendlich ist die medikamentöse Einstellung unserer Erkrankung ein Glücksspiel und oft
mehr mit einem Stochern im Nebel zu vergleichen als mit einer geplanten und gezielten Behandlung.
Bitte denkt darüber doch einmal nach…
Anne
LG Anne