Hallo.
Eigentlich fing ich an, einen Beitrag für Blackcat zu schreiben.
Dann wurde er allerdings länger und passt hier nun viel besser hin.
Meine Diagnose war eigentlich die Folge einer Kette von Diagnosen, auf Umwegen und Irrwegen ins Schwarze.'
Bipolar bin ich quasi mein ganzes Erwachsenenleben, ab dem 20. Lebensjahr. Vorher waren allerdings schon lange schwere Depressionen ein Problem, erste Auffälligkeiten in der Kindheit (Grundschule), Suizidales Denken etwa mit Eintreten der Pubertät (12) bis hin zum Beginn meiner jetzigen Medikation ein ständiger Begleiter, in der Depression vor meiner ersten Manie ein dilettantischer Suizidversuch, er erste und einzige.
Bis dahin nahm ich diesbezüglich niemals einen Arzt/Psychiater in Anspruch, ich hielt mich für normal, übersensibel, empfindlich und falsch in einer Welt voller unsensibler Menschen. Nach außen hin war ich sehr angepasst. Überangepasst.
Mit 20 eine heftige erste Manie, in der ich in 2 Wochen nur 2 Vormittage geschlafen hatte, und völlig entkräftet und überdreht zum Hausarzt ging. Dieser wollte mich an einen Psychiater überweisen.
Das wollte ich natürlich nicht, ich wollte nur schlafen, um wieder genug Kräfte für meine Vorhaben zu haben, nämlich Rockstar und Nobelpreisträger zu werden (was ich ihm natürlich nicht sagte...).
Ich ging somit mangels Fremd- oder Eigengefährdung mit einer Packung Valium bewaffnet und meines Wissens ohne eine andere Diagnose als "Schlafstörung" aus der Praxis, die mich damals tatsächlich noch zum Schlafen bringen konnte.
In einer späteren Phase (wieder ohne Bipolar-Diagnose) reichte dies übrigens nicht mehr aus, dort brachte mich im zweiten Anlauf Bromazepam zum Schlafen, welches Dank guter Verträglichkeit heute wieder ein Akutmedikament für mich ist, gegen die Spitzen einer generalisierten Angststörung.
Ich habe mich dann 2 Jahrzehnte ohne eine passende Diagnose durchgeschlagen. Bis auf 2 kurze Extremkrisen unmedikamentiert, bis heute ohne jeden Klinikaufenthalt seit einer traumatischen Mandel-OP mit 8 Jahren...
Mit 30 sagte ich Drogen und Alkohol-Exzessen und dem Nachtleben ade. Ich war im Gegensatz zu vielen Freunden ohne jede Sucht (ausgenommen Zigaretten) davongekommen, und für eine neue Lebenspartnerschaft hörte ich von heute auf morgen auch mit dem gelegentlichen Cannabiskonsum, den ich zeitweise zur Selbstmedikation von Depressionen in kleinen Dosen nutzte auf.
Dies, zusammen mit dem "Ankommen" im Erwerbsleben aus meiner ersten Selbständigkeit heraus in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis, stabilisierte mich ein wenig, aber ich blieb weiterhin schwer affektiv mit klaren Phasen, wie ein Uhrwerk.
Mit Anfang/Mitte 30 begab ich mich nochmal aufgrund einer aktuellen Beziehungskrise in Behandlung, es war die erste in dieser Partnerschaft, mir war eindeutig klar, dass ich zumindest an behandlungsbedürftigen Depressionen litt, und wollte meine Beziehung retten, die aufgrund der damaligen Depression kurz vor dem Aus stand.
Prompt erhielt ich die Diagnosen Schwere wiederkehrende Depressionen, Anpassungsstörung, impulsive emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, generalisierte Angststörung, Panikstörung, unsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung...kurzum genug Verdachts- und gesicherte Diagnosen für mindestens ein Jahr in tiefenpsychologisch-fundierter Psychotherapie, ohne Medis - da ich für die Schwere meines Zustandes aufgrund jahrelanger eingeübter Härte mir selbst gegenüber nach außen hin erstaunlich "funktional" war...
Das Jahr verging mit vielen Erkenntnissen, aber ohne erkennbare Verbesserung der Hauptsymptomatik, woraufhin ich die Verlängerung meiner Therapie ablehnte. Ich war sehr therapiemüde und brauchte einen klaren Cut, vor allem, weil mein ursprüngliches Therapieziel nicht erreicht werden konnte. Ich hatte meine Affekte nicht im Griff, die Beziehung war zwar vorerst gerettet, auch aufgrund meiner Bereitschaft zur Therapie, aber blieb weiterhin aufgrund meiner starken Schwankungen, sprich Phasen, problematisch
Und zwar egal wieviel ich nun über meine familiären Probleme der Kindheit, den daraus möglicherweise folgernden Bindungsproblemen, die Angststörung, dem Verhältnis zu meinem Vater und meiner Mutter, Selbstwertschwankungen usw. usf dazugelernt hatte, und obwohl ich die Therapeutin als sehr kompetent in guter Erinnerung behalten habe, und sie auch verhaltenstherapeutisch bei Krisen/Phasen eingeschritten ist...ohne passende Diagnose kann man wohl nicht mehr erwarten.
An meinen faktischen Symptomen hatte sich aber....an sich... *nichts* verändert. Kamen wie ein Uhrwerk. Auch die generalisierte Angststörung ist bis heute vorhanden. Die Panikstörung verschwand mit meiner ersten Bipolar-Medikation...
Ein paar Jahre später war ich nochmals akut in Krise in Behandlung, anlässlich des damals vermutet unmittelbar bevorstehenden Todes meiner Mutter (kurzfristig erkannte schwere Krebserkrankung mit Notoperation, Überlebenschance 50% für OP und 2% für mehr als 5 Jahre, und 2 Wochen anschliessendem Koma, aus dem sie dann entgegen aller Voraussagen wieder erwachte, psychotisch/Durchgangssyndrom). Dort der akute erfolgreiche Einsatz von Bromazepam der *mich* rettete, vor dem kompletten Nervenzusammenbruch.
Mit 39 dann erneut beim ersten Psychiater. Dieser hatte inzwischen allerdings zuvor meinen Bruder als bipolar diagnostiziert, kannte mich und meine Familiengeschichte bereits.
Und ich war auftauchend aus einer auslaugenden Depression, hatte depressive Gedächtnisstörungen, die mir zu schaffen machten, einen neuen Job, den ich unbedingt halten wollte, und einen Bruder, der genau den richtigen Zeitpunkt gefunden hatte, mir auf den Kopf zuzusagen, dass, wenn er bipolar sei, ich das schon lange wäre.
Womit er auch den Nagel auf den Kopf traf zum richtigen Zeitpunkt.
Ich hätte im damaligen Zeitpunkt jede Diagnose akzeptiert, solange es irgend einen Weg da raus gegeben hätte. Ich war der Erkrankung unendlich müde. Und ich erzählte erstmal auch einem Arzt von meinen Höhenflügen. Auch von den Dingen, die einen normalerweise vor Scham im Boden versinken lassen. Das war mir im damaligen Zustand egal, und das war gut so.
Wieder war nur die Depression gesichert, klar, manisch hatte mich der Arzt nie erlebt. Aber die Bipolar-Diagnose stand nun im Raum. Ich bekam meine erste langfristige Medikation. Keine typische für bipolar, Citalopram und Atosil als Bedarfsmedi dazu. Aber ich war ja auch erstaunlich funktional durch alle möglichen adaptierten Kamikaze-Techniken, die ich mir kräftezehrend und mühselig antrainiert hatte, um irgendwie zu bestehen, arbeiten gehen zu können und eine Beziehung zu führen. Anpassen, verstecken, Doppelleben inklusive.
Die Unterschiede zu vorher waren drastisch. Ich erlebte eine nie vorher erlebte Nervenstärke und konnte Ziele viel einfacher erreichen, die Gedächtnisprobleme gingen mit der Depression zurück, gleichzeitig half es gegen die Angststörung (noch bevor der antidepressive Effekt eintrat), ich war in der Lage trotz vorheriger Prüfungsangst den Führerschein zu machen, was mir vorher unmöglich gewesen war, und konnte mich sehr gut in meinem neuen Job behaupten, konnte regelmäßig schlafen, nach der Arbeit abschalten, und sogar noch ein zufriedenstellendes Privatleben führen. 2 Jahre lang. Mir war klar - nie mehr ohne Medikamente leben, wahrscheinlich bipolar, ich konnte das sofort akzeptieren, nicht nur mit dem Verstand. Ich war das, zweifellos. Der Erfolg gab der Methode recht. Citalopram half mir durchgehend, Atosil half mir vor dem Kontrollverlust.
Leider musste das Unternehmen dichtmachen, bei dem ich arbeitete. Ich blieb quasi bis zum Schluss, und kam
dann in Bedrängnis und Existenzdruck. Ich bereitete dann meine 2. Selbständigkeit vor. Mustergültig, hervorragender Business-Plan, mit vollem Elan, innerhalb von 8 Wochen. Wenig Schlaf, viel Arbeit, hohe Einstiegslast, geliehenes Geld.
Als Monate später das Jahr zuende war, wurde mir klar, dass ich stetig in meine längste und schwerste Depression geraten war, die typische Gegenbewegung, ich war schnell vollends sozial isoliert, nahm kein Telefon mehr ab, keine Post, ich wurde unfähig, E-Mails zu beantworten und schliesslich ass und trank ich nicht mehr, verliess das Bett mühselig bis zur Toilette, schaffte nachts vielleicht mit letzter Kraft einen Gang zum Zigarettenautomaten, am Ende auch das nicht mehr, Medikamente aufgebraucht, Verfolgungswahn. Bis hin zur völligen Entkräftung, die gut auch hätte tödlich enden können, weil ich mich kaum noch bewegen konnte.
Da rief auch keiner mehr an, meine Lebensgefährtin, meine Familie, niemand mehr - ich rief ja auch nie zurück.
Ich dachte, das Finanzamt würde mich mit einem Einsatzkommando der Steuerfahndung eines Tages überfallen, würde mich zuhause beobachten, hätte sich gegen mich verschworen, nachdem mir monatelang die Zuteilung einer Steuernummer versagt blieb. Ich fand übrigens heraus, dass ein Mitarbeiter monatelang krankgeschrieben war, und keiner diese Aufgabe übernommen hatte, aber da waren die Wahngedanken schon voll manifestiert...und ich hochdepressiv.
Es dauerte dann noch etwa 2 Monate, bis ich mich hier eingelesen hatte, und die Depression soweit abgeklungen war, dass ich wieder in der Lage war, mich schriftlich zu äußern, hier im Forum.
Dann konnte ich irgendwann wieder Hilfe in Anspruch nehmen, ärztlich, dann auch beim Sozialpsychiatrischen Dienst, beim jobcenter, bei der Familie und meiner Lebensgefährtin.
Da auch mein Outing gegenüber den Ämtern.
Das Citalopram war danach nur noch gegen die Angststörung begrenzt wirksam, aber nicht mehr wirklich gegen die eigentlichen Phasen/Depressionen, die danach wieder regelmäßig kamen, ich nahm wieder Citalopram mit deutlichen Aufdosierungen, zusätzlich wieder Atosil. Später zusätzlich Trazodon, was hervorragend als Schlafmedi ohne Suchtgefahr in niedrigen Dosen funktionierte.
Den Antrieb vor dieser schweren fast einjährigen Depression habe ich bis heute nicht wiedererlangt.
Vor zweieinhalb Jahren beschloss ich, das Citalopram abzusetzen, von inzwischen 40mg auf Null, und nutzte den dann einsetzenden Antrieb, um mich schleunigst auf Quetiapin retard einzulassen.
Meine Ärztin sorgte dafür, dass ich nicht mit der von mir angedachten 50mg-Minidosis anfing, sondern mit 150mg.
Nach 3 Monaten dann 300mg. Das Beste, was mir passieren konnte. Ohne SeroPL kann ich mir inzwischen nur noch vorstellen, wenn es wirkungslos wird, oder ein internistisches Problem die Einnahme ausschliesst.
Die Suizidalität ist quasi verschwunden, was schon das stärkste Argument für *meine* Idealmedikation ist.
Depressionen haben eine klare Unterschwelle. Mittelprächtig, was ein großér Unterschied ist zu schwerstdepressiv mit Psychose.
Inzwischen Bupropion als mein persönliches AD der Wahl - nach einem Versuch mit Venlafaxin, der so ziemlich das Übelste war, dass ich je 8 Wochen ausgehalten habe.
Berentet mit 100% Erwerbsminderung vor einem Jahr, für zweieinhalb Jahre. Der Prozess dauerte nach dem Gutachten durch den Vertragsneurologen und -psychiater der RV genau 2 Wochen. Ich denke, das Gutachten war sehr eindeutig. Der Gutachter sagte etwas in der Art wie: "Wir werden uns noch einmal sehen, und dann werde ich sie wahrscheinlich fragen, ob sie sich überhaupt noch vorstellen können, je wieder zu arbeiten."
Voriges Amtsärztliches Gutachten hatte bereits festgestellt, dass ich voraussichtlich nie wieder wirtschaftlich verwertbar arbeiten werde können. Hart ausgedrückt. Mein SPD-Sozialarbeiter war sogar überrascht, wie klar dieses Thema abgehandelt wurde...er ist mit dem Amtsarzt befreundet, und dieser ist nicht für negative Langzeitprognosen bekannt....
Die Rente erwischte mich hart, ich habe die Anerkennung durch Erwerbsarbeit hart erarbeitet, und sie war ja nicht nur auslaugend und maniefördernd und überlastungsfördernd, sie war trotzdem stabilisierend bezüglich meiner gesellschaftlichen Rolle, sozialen Sicherheit und nicht zuletzt finanziellen Selbständigkeit und sollte nun, da eigentlich die meisten Menschen den höchsten Punkt ihrer persönliche Karriere erst erreichen, bereits aufhören.
Inzwischen kann ich mich damit abfinden. Gesundheit, wieweit auch immer die erreicht wird, ist mir nun auch wichtiger. Nebenwirkungen und Antriebsverlust zählen bei mir persönlich nun weniger stark, als der Erfolg, den Suizid als möglichen Ausweg nicht mehr ständig im Hinterkopf zu haben, oder die ewige starke Stimmungsschwankung weitgehend vom Hacken zu haben. Manie - Null, ich bügle einfach die sehr seltenen Ausbrüche mit einmaligen bis 600mg gehenden Akutdosen ab, und Ruhe ist.
Der depressive Bereich kommt weniger gut weg, aber mittelprächtig und gesichert keinen Schritt weiter ist gegen bodenlos schwerstdepressiv immer noch etwas, dass ich nach 20 Jahren unmedikamentiert "auf einer Backe" absitze, zudem der Leidensdruck ganz erheblich vermindert ist, und das Bupropion doch nochmal ein sehr potentes Mittel bei mir ist, welches hilfreich dazugekommen ist. Beide Medikamente haben bei mir auch ein sehr "natürliches" Gefühl zur Folge. Neutral, sozusagen. Viel neutraler als z.B. das Citalopram und kein Vergleich zum Venlafaxin. So wie man sich "normal" vorstellt, als jemand, der Normalität ohne Medikamente eben gar nicht hat außer kurzfristig an Phasenumschlägen.
Die Antriebsschwäche ist weiterhin im stark krankhaften Bereich. Aber wenn ich wählen kann, zwischen antriebsschwach und schwerstdepressiv und antriebsschwach ohne Leidensdruck und mit klarem Verstand und weitgehend stimmungsstabil als Teilnebenwirkung...was wähle ich da wohl. Man kann nicht alles haben, und der Antrieb kam auch vorher ohne Dauerdeckelung nach oben nicht mehr wieder.
Wenn etwas voraussichtlich Besseres entwickelt wird, vielleicht würde ich mich nochmal auf eine andere Medikation einlassen. Aber diese Aussicht muss schon wirklich sehr verlockend sein. Damit ich nochmal aufs Spiel setze, dass die Dauersuizidalität zurückkehrt, oder schwere Depressionen.
So war das bei mir, mit den Medis. Spät, aber äußerst hilfreich. Auch wenn ein Teil der Symptome wohl als Dauervermächtnis bleibt...
Zurück ins Unmedikamentiert - diese Möglichkeit habe ich jeden Tag. Brauche es ja nur weglassen.
Ich entscheide mich jeden Tag dagegen.
LG,
M.