Moin liebe Foris,
wie bei vielen Betroffenen war auch mein Weg bis zur Krankheitseinsicht langwierig, steinig und mit kaum vorstellbaren Schäden
und Scherbenhaufen, die kaum größer hätten sein können, gepflastert.
Erst als mir restlos nichts mehr geblieben war und die sich ständig wiederholendenen Manien und Psychosen mich seelisch, geistig und vor allem auch körperlich so geschwächt hatten, dass rein gar nichts mehr ging, ... erst da ... gelang es dem richtigen Menschen zur richtigen Zeit, die richtigen Worte zu finden, um zu mir durchzudringen und ebnete mir den Weg, krankheitseinsichtig werden zu können.
Ein Rückblick, 12 Jahre nach meinem letzten Klinikaufenthalt:
In einer mehrmonatigen, tiefen Depression wurde mir klar, dass ich da alleine unter keinen Umständen wieder rauskommen würde.
Meine Angst davor, erneut jahrelang in der Depression hängenzubleiben, wurde größer, als meine Angst vor einem weiteren Auf-
enthalt in der Psychiatrie. Nach etlichen Zwangseinweisungen, bat ich erstmalig - von meiner Angst angeschoben - selbst in einer Klinik um Hilfe. Nach Verabreichung eines AD, das Jahre zuvor ohne jede Wirkung blieb, switchte ich dieses Mal innerhalb kürzester Zeit in eine Manie. Die Geschwindigkeit, mit der mich diese Manie überrannte, war so extrem, dass ich weinend ständig wiederholte: "Das geht mir zu schnell, das geht mir zu schnell!"
Die Ärzte reagierten mich beruhigend gelassen und handelten sehr schnell. Es stellte sich heraus, dass ich nicht nur in eine Manie geschossen war, sondern zeitgleich war der Lithiumspiegel in den toxischen Bereich geraten. Was da an Empfindungen auf mich eingestürzt ist, hat alles vorher Erlebte getoppt.
Nachdem die Medikamente der neuen Situation angepaßt waren und ich mich von dem Schrecken erholt hatte, war ich auf allen Ebenen hellwach und konnte sehr klar und präzise denken. Das verdanke ich mit Sicherheit in erster Linie den Medikamenten, jedoch zusätzlich in hohem Maße dem zugewandten Verhalten von Ärzten und entspanntem Pflegepersonal. Mir wurde nichts übergestülpt und ich wurde in alle Überlegungen, die Therapien und Medikation betreffend, mit einbezogen.
Ich hatte immer die Wahl, mich auf etwas einzulassen oder es abzulehnen.
Nach jahrelangen negativen Erfahrungen fühlte ich mich zum ersten Mal als Mensch gesehen, der zwar krank ist, aber dennoch ernstgenommen wird. Weder Selbstachtung noch Würde wurden angetastet. Für diese zuguterletzt gemachte neue, positive Erfahrung, bin ich bis heute unendlich dankbar!
Dankbarkeit dafür, von soviel Elend befreit zu sein, spielt eine große Rolle mit bei meiner Entscheidung, langfristig Medikamente einzunehmen. Ein weiterer Grund ist, dass ich - soweit es in meiner Macht steht - selbst aktiv dazu beitragen will, zukünftigen Krankheitsphasen entgegenzuwirken. In erster Linie tue ich das für mich selbst; doch ich denke auch an die Menschen,
die mich lieben und die mit mir gelitten haben.
In den zurückliegenden 12 Jahren gab es immer mal wieder Zeiten, in denen ich meine damalige Entscheidung überdacht und manchmal auch infrage gestellt habe. Doch diese Phasen werden immer seltener. Nach vielen, heftigen inneren Kämpfen, in
denen mich mein Psychiater begleitet hat, habe ich mich damit abgefunden, dass mein allergrößter Herzenswunsch, wieder
ganz "heil" sein zu wollen, sich nicht erfüllen wird.
Viele Grüße
Deborah
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 03.10.14 10:02.