Liebe Susanne,
danke für deine lieb gemeinten Worte.
Ich bin derzeit (in den letzten Tagen) bereits dabei, den Satz "Ich bin Alkoholikerin" laut und deutlich (und ohne den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen) auszusprechen. Wenn nötig, liefere ich die Erklärung dazu auch noch dabei.
Bis jetzt hab ich es in meinem engsten Familienkreis gemacht und in meiner SHG BiPo (was mir ein bisschen schwerer fiel, ging aber). Ich nehme an, der nächste Akt wird dann der in meiner Therapie-Gruppe. Auch da wird es nicht leicht sein, weil zumindest eine Teilnehmerin Alkoholiker als Eltern hatte, möglich, dass ich da bei ihr was antriggere. Insofern muss ich - ihretwegen - mal schauen, wann ich es mache. Vielleicht an einem Tag, an dem sie etwas gefestigter ist.
Meinen - wenigen - wirklich guten Freunden werde ich es selbstverständlich auch sagen, halt dann, wenn wir uns das nächste Mal sehen, eher beiläufig - wiederum, wenn nötig, mit Erklärungen ("Was ist ein Wirkungs-Trinker?!")
Wenn ich selbst von etwas überzeugt bin, auch wenn es sich um 'negative Teile' meines Selbsts handelt, dann bin ich konsequent in meiner Offenheit - denjenigen gegenüber, die ich mag oder liebe. Das ist für mich selbstverständlich, weil ich ja eben so auch gemocht oder geliebt sein möchte, wie ich bin. Ja, und nun gehört halt zu 'meiner Selbstbeschreibung' noch dieser Satz dazu. "Ich bin bipolar, ich bin auch sonst ein bisschen ver-rückt und, ach ja, ich bin auch Alkoholikerin; deshalb hätte ich ab jetzt gerne nur noch antialkoholische Getränke." Je näher mir die Leute stehen und je vertrauter wir einander sind, desto leichter fällt es natürlich - weil: sie haben mich bis jetzt geliebt, warum sollten sie es plötzlich nicht mehr tun?! Ich muss es ja nicht gleich jedem Fremden an der Bushaltestelle unter die Nase reiben...:-)
Zum Thema Scham: In allererster Linie hab ich mit meiner Sauferei mir selbst geschadet - den würdelosen Anblick, den ich als Besoffene bot, hat meistens außer mir keiner gesehen, weil ich dieses "Ich-will-bewusstlos-sein-Saufen" meistens allein bei mir zu Hause (ich lebe seit fast 15 Jahren in eigener Wohnung, allein) praktiziert habe. Klar hab ich mich vor mir selbst geschämt, die guten Vorsätze hielten aber immer nur so lange, bis wieder eine Situation eintrat, die ich meinte, emotional nicht aushalten zu können.
Gut, es gab auch Situationen, in denen ich andere genervt, verletzt, vermutlich auch manchmal angewidert habe. Diese Situationen waren aber - Gott sei Dank - nicht so zahlreich und außerdem haben mir die betreffenden Personen längst verziehen - ich habe Glück: es ist nur eine Hand voll, und diese Menschen lieben mich, auch heute noch. Mag sein, dass diese mir lieben Menschen es ein bisschen schwer haben werden, den Satz an sich zu akzeptieren ("jetzt auch das noch dazu!"), aber sie werden mit Sicherheit froh darüber sein, dass es keine üblen Szenen mehr geben wird.
Jo, was jetzt meine Hauptaufgabe sein wird, ist (noch mehr) zu lernen, Ängste und Schmerzen zuzulassen, sie zu fühlen (auch wenn ich manchmal eben in der Erstarrung denke, jetzt sterb ich gleich) und *irgendwie-anders* zu bewältigen. Ächz..., heut schreib ich aber viel...Alles Liebe und Danke! Jakkie
Gruß, Jaqueline
Alles ist für was gut.
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„Ein Tropfen Liebe ist mehr
als ein Ozean Verstand.“
(Blaise Pascal)
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 25.06.11 19:09.