Mach etwas heil
Es war einmal ein Mädchen, das besaß ein Smartphone, dreizehn Paar Socken und eine Butterdose.
Eines Tages glitt ihm die Butterdose aus der Hand und der Deckel fiel auf den Steinboden und zer-
brach in zwei Teile.
"Oh nein", rief das Mädchen, "meine Butterdose, die ich liebe!" Und es war betrübt über seine
Unachtsamkeit, denn diese Butterdose erzählte von einem Urlaub in Dänemark und einem
Haus voll Glück, und nun gab es sie nicht mehr.
Doch halt, liebes Mädchen!
So muss es nicht sein.
Repariere die Dose doch einfach.
"Reparieren?" frug das Mädchen, "Ein Smartphone kann man auch nicht reparieren".
Und damit hatte das Mädchen natürlich Recht.
Aber stell dir vor, liebes Mädchen, es gab eine Zeit, da konnte man Telefone einfach aufschrauben,
und wenn man Glück hatte, entdeckte man das Kabel, das wackelte, und schon telefonierte es wieder.
Da fiel dem Mädchen die Großmutter ein, wie sie an langen Abenden unter ihrer Stehlampe saß und Socken stopfte.
Sie sah meditativ aus mit ihrer großen Nadel und dem dicken Garn. Geduldig legte sie eine Art Gitter über das Loch.
Erst kamen die senkrechten Fäden, feinsauber lagen sie nebeneinander, dann wob sie die waagerechten hinein,
drunter und drüber und drunter und drüber, und am Ende wurde aus einem Loch ein Stück Socke.
Das erschien dem damals noch kleinen Mädchen wie Zauberei.
Wer das kann: Etwas heil machen.
Die Großmutter konnte noch mehr: Schmerzen wegpusten, ganz ohne Desinfektionsspray, allenfalls mit Spucke.
Sie konnte aus vertrocknetem Brot einen zimtzuckrigen Nachtisch backen, Flicken auf Röcke setzen und aus
Kerzenresten ein Regenbogenlicht machen.
"Heile, heile Segen", sang sie, "sieben Tagen Regen, sieben Tage Sonnenschein, wird alles wieder heile sein."
Die Welt war tröstlich. Narben und Risse und Flicken erzählten Geschichten vom Sein und vom Werden: "Das war,
als ich vom Apfelbaum gefallen bin." "Die Tasse bekam ich zum fünften Geburtstag, und als ich sie mit viel zu heißem Kakao fallen ließ, roch die Küche noch Tage lang nach Vanille, und den Griff, den klebten wir wieder an."
Das war eine Art von Auferstehung, die das Mädchen verstand.
Die Dinge lebten, sie wuchsen mit. Sie waren nicht einfach austauschbar, gesichtslos, wertlos,
wenn sie ihre perfekte Form verloren.
Perfektion, die Makellosigkeit meint, ist leer. Makelloses hat nicht viel zu erzählen.
Es hat nichts durchgemacht, nichts mitgemacht. Seine größte Aufgabe ist, zu bleiben wie es ist.
Die Liebe zu Makellosem ist brüchig, weil sie stirbt, wenn es bricht.
Das Mädchen hob die Scherben auf, spülte vorsichtig die Butterreste ab und trocknete das Porzellan.
Dann trug es eine dünne Schicht Kleber auf die gebrochene Kante und drückte die beiden Teile fest aneinander.
Wie zwei Liebende, dachte es, die wieder zusammen kommen. Ein feiner Riss war zu sehen, der in Zukunft davon
erzählen würde, dass diese Butterdose dem Mädchen mehr am Herzen liegt als die Vollkommenheit.
Als die Großmutter eines Tages ihre diamantene Hochzeit feierte, da wurde sie gefragt, wie sie es geschafft haben,
so lange zusammen zu bleiben. Gab es keine Krisen? "Oh doch", antwortete sie, "aber wir hatten das Glück, in einer Zeit aufzuwachsen, in der man Dinge noch reparierte, anstatt sie wegzuwerfen".
aus
Soviel du brauchst - Sieben Sachen zum besseren Leben
von Susanne Niemeyer, wiedergegeben mit dem Einverständnis der Autorin.