Hallo,
es ist ein interessanter Beitrag, aber es liest sich für mich eher wie eine Aufgabe, die man vor sich verteidigen muss.
Die bipolare Störung ist eine Gratwanderung, ja, wo der Verzicht im ersten Augenblick zu weniger Anfälligkeit auf Instabilitäten führt. Auf den zweiten Blick bedeutet es für mich auch immer, dass ich nicht nur Qualitätseinbußen habe, sondern ein weiteren Teil meines Lebens an die Krankheit abgebe. Nun weiß ich nicht, ob Dein Text eine Aufgabe bedeutet oder eine freiwillige Maßnahme?
Mich hat die Krankheit auch eingeschränkt. Aufgrund einer gewissen Notwendigkeit an Routine für den Körper kann ich beruflich nie wieder regelmäßig Nachtschichten machen, auch wenn ich dies in Einzelfällen schon noch praktiziere. Im Zuge der gemachten Erfahrung agiere ich in der Freizeit überlegter und ruhiger, um mich besser im Zuge des Alltags zu regenerieren, aber niemals würde ich eine übermäßige und sich damit stark einschränkende Selbstdisziplin dieser Art auf mich erlegen, so wie Du sie beschreibst und auch lebst.
Die Gefahr einer solchen Selbsteinengung, auch wenn es erst einmal schlüssig und erholsam sich anhört, ist nach meiner Meinung, die Erhöhung der Gefahr im Alltag getriggert zu werden und in die Krankheit abzudriften.
Ganz simpel dargestellt, ist ein täglicher bewusster Umgang mit den Einflüssen auch für das Immunsystem enorm wichtig. Meine Meinung ist, wir verlieren im Zuge dieser Krankheit Stück für Stück die Ressistenz, wenn wir uns dem Machbaren verschließen. Ich schreibe hier nicht von bekannten Triggerpunkten (siehe meine Thematik Nachtschicht), ich schreibe hier von alltäglichen Einflüssen, die man schaffen will und auch trotz der Krankheit realisieren kann.
Die nächsten Zeilen, meine Beobachtungen in meinem Prozess, bitte ich so vorsichtig zu lesen, wie ich sie auch geschrieben habe:
Mit Beginn der Krankheit lotet man sowieso seinen Standpunkt und seine Möglichkeiten aus. Das Herausfinden des Machbaren unter professioneller und vertrauensvoller Aufsicht/Begleitung einschließlich einer sich entwickelnden Selbstreflexion sowie Einsicht in die Krankheit ist erst ein normaler unbewusster und später bewusster Prozess. Meine Hypothese und Erfahrung an mir selbst ist, wenn man dies sehr geduldig in kleinen Schritten, sprich über etliche Jahre vorgeht und mit kritischer Begleitung macht, lässt sich die Belastbarkeit steigern. Man muss aber einstecken können, da man zwischenzeitlich immer wieder an seine Grenzen kommt. Auch sollte die Disziplin und Kritikfähigkeit so gut sein, dass man vor allem nicht in (hypo)manische Phasen abgleitet. Nach meiner Erfahrung bedeutet das Ausbremsen einer (hypo)manischen Phasen, wenn ich mal wieder gegen eine Wand auf meinem Weg gelaufen bin, häufig eine kleine depressive Phase. Das klingt nicht spaßig, ist es auch nicht, aber wenn man sich Ideen, gezielte Strategien mit Taktiken zurechtlegt und auch ein bisschen Fantasie hat, kann man trotzdem viel lächeln.
Grundsästzlich vertrete ich die Hypothese, dass im Umgang mit der Krankheit eine gewisse Robustheit vorhanden oder sogar trainiert werden sollte, um die individuell gewünschte Lebensqualität aufrechtzuerhalten.
Und mal provokant und trotzdem mit dem nötigen Respekt vor dem Ersteller des Baums stellt sich mir die Frage, ob Selbstkasteiungen als ein Programm dargestellt, nicht ein Versuch der Verteidigung der eigenen Resignation ist. Zumindest habe ich mich bei ähnlichen Versuchen schon sehr selbstkritisch erwischt, als ich mir Niederlagen schön reden wollte.
Was ich zurückblickend für mich trotzdem an bewusster Stille mitgenommen habe, ist das Genießen von teilweise unscheinbaren Kleinigkeiten im Alltag. Es sind Dinge, wie die Tasse Kaffee, egal ob zu Hause oder auf Arbeit, Spaziergänge oder einfach nur auf der Couch liegen...diese Kleinigkeiten sind auch ein Teil meiner Regeneration für den Augenblick oder für den zu Ende gehenden Tag.
VG