Guten Morgen Amy,
das was du von dir beschreibst, trifft sie recht gut.
Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass sich bei ihr im Grunde immer um Kleinigkeiten handelt, da ich die echten Troubles so gut es geht von ihr fern halte.
Ich fürche, dass einige der Schwierigkeiten in ihrer Grundpersönlichkeit liegen. Also den Eigenschaften, die ich von ihr ja seit jeher kenne und die ich auch an ihr liebe, die bis vor ein paar Jahren auch nie ein Problem dargestellt haben. Sie hat ihren eigenen Kopf, ist stur, strebt nach Unabhängigkeit, ist ein Alpha-Tier (in Lern-, Arbeits- oder privaten Gruppen landete sie immer irgendwann an der Spitze, sie war nie Mitläufer, sondern immer Leader), ist sehr ehrgeizig und perfektionistisch, hat immer ihre eigene Meinung und ihre eigenen Willen (beides möchte sie natürlich auch gerne durchsetzen), ist stolz, ehrlich, sagt was sie sich denkt (auch wenn es hart ist. Sie war dabei aber nie unhöflich oder taktlos). Sie war immer mit gesundem Selbstbewusstsein- und vertrauen ausgestattet. Manche denken jetzt vielleicht, das schon das alleine schwierig klingt. Aber mit gefällt das.
Vor etwa 4-5 Jahren wurde sie launisch. Ich dachte, das sei eine Phase, die sich legen würde. Aber im Gegenteil, es wurde schlimmer. In ihren Phasen (sei es ihr High-Ich oder ihr Low-Ich) wird aus Sturheit Starrsinn, aus ihrem Streben nach Unabhängigkeit Beratungsresistenz und Unbelerhbarkeit, aus ihrer eigenen Meinung ein unverrückbarer Standpunkt und aus dem eigenen Willen ein etwas, dass es um jeden Preis durchzusetzen gilt. Die Ehrlichkeit wird zu Unhöflichkeit, Taktlosigkeit und Frechheit. Selbstvertrauen und -bewusstsein schwanken je nach Phase zwischen Nichtvorhandensein und Überdimensionierung. Und dazwischen ist sie wieder einfach sie.
Wenn es bei ihr eskaliert, der Stress sie außer Gefecht setzt, dann bettelt sie zuerst richtig um Hilfe. Sie ist dann ehrlich verzweifelt. Sie will meine Hilfe. Aber: Ihr Stolz, ihr Drang, nicht über sich bestimmen lassen zu wollen in Verbindung mir ihrem unverrückbaren Standpunkt, lässt nicht zu, dass sie meine Hilfestellung annimmt. Die Lösung kann anscheinend nur von ihr selbst kommen, da sie nur ihre eigenen Entscheidungen akzeptiert. Die aber nicht kommen. Darum bettelt sie wieder um Hilfe. Die ich ihr anbieten und sie auch haben will, aber nicht annehmen kann. Und zwar so lange, bis "der Spuk" vorbei ist und sie sich wieder soweit fängt, dass klare Gedanken möglich sind.
Das Ganze ist bei ihr Mens-unabhängig. Man kann sagen, es ist immer gleich schlimm. Wie gesagt: Sie hat schon auch Phasen, wo es dann ein paar Tage funktioniert. Wo sie realistisch plant und versucht, ihr Leben zu sortieren, was ihr auch gelingt. Nur schafft sie es nie zur Umsetzung, da die längste Periode, wo sie wieder sie selbst war, nur knapp zwei Wochen gedauert hat. Dann war sie wieder im mehrmals täglich Switchen zwischen Höchstleistungsprogramm mit euphorischer Zuversicht und totaler Antriebslosigkeit mit verzweifelten Weinkrämpfen.
Du hast recht. Wenn ich mir alles, was ich geschrieben habe, nochmal durchlese, komme ich zur der Erkenntnis, dass ein Faktor auf das alles Null Einfluss hat: Ich. Ich habe bisher alles (also fast. Angeschrien hab ich sie noch nie) versucht, die Situation zu ändern - immer mit dem exakt gleichen Ergebnis. Ich habe mich aber bisher nie getraut, einfach aus der Situation zu gehen und sie stehen zu lassen. Ihr zu sagen, dass ich nichts zur Lösung ihres Problems beitragen kann und mir selbst nichts gutes tue, wenn ich es trotzdem versuche.
Bei ihr war es früher auch so: Wenn sie sich über irgendetwas geärgert hat oder sie wütend war, war es am besten, sie eine halbe Stunde nicht anzureden und sie alleine zu lassen. Das funktioniert auch heute noch. Ich habe das aber, wie gesagt, noch nie in einer Entscheidungs-/Stresssituation versucht, da sie mich dann immer um Hilfe anfleht.
