... und es dadurch nicht ganz so klar ist, ob man tatsächlich manisch-depressiv ist... Was dann?
Hallo liebes Bipolar-Forum,
ich habe mich dazu entschieden einen neuen Beitrag zu erstellen, da er unabhängig vom alten (
Beitrag vom 01.02.17) beantwortet werden kann. Ich hoffe das geht in Ordnung...
Zuallererst ein riesengroßes Dankeschön für die ausführlichen Antworten, es hat mich sehr gefreut und mir sehr viel Klarheit verschafft! Außerdem tut es mir Leid, dass ich einige Mitglieder "wütend" gemacht habe, oder sich Mitglieder sogar scheinbar angegriffen gefühlt haben. Das war natürlich auf gar keinen Fall meine Intention bei der zugegebenermaßen provokanten Titelgebung. Die Reaktionen zeigen mir jedoch, wie eindeutig die Diagnose "manisch-depressiv" für die meisten Mitglieder hier wohl war. Meine Diagnose war wie ich finde alles andere als eindeutig. Wie gesagt, ich habe mich ausführlich mit dem Thema BS auseinandergesetzt, doch diese eine Frage, war nie zu meiner Zufriedenheit geklärt.
Denn okay, manisch-depressiv ist nicht jeder! Verdammt, natürlich nicht. Aber Stimmungsschwankungen hat jeder.
Doch wo ist die Grenze? Ich bleibe dabei, es ist nicht so einfach wie Sie meinen. Sie sagen, das sei doch ganz locker zu bestimmen und meistens eindeutig festlegbar? Dann knabbern Sie mal hieran... ;-)
Es folgt jeweils ein persönliches, tatsächliches Szenario, welches entweder während einer manischen oder während einer depressiven Phase stattgefunden hat. Dazu gibt es jeweils einmal eine Erklärung à la "Du bist manisch-depressiv, Matthias, eindeutig!". Und eine Erklärung à la "Ist doch alles ganz "natürlich und erklärlich", Matthias. Den Sch***ß hast Du garantiert nicht!"
Viel Spaß beim Lesen! :-)
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Matthias, 19 Jahre alt, kehrt von einem sechsmonatigen Neuseelandaufenthalt nach dem Abitur zurück. Der Reihe nach besucht er seine Freunde, denen er mit einem breiten Grinsen, extrem guter Laune und scheinbarer Selbstverliebtheit von seinen Abenteuern erzählt. Später erfährt er von seinen Freunden, dass sie sich "vor den Kopf gestoßen" gefühlt haben, und Matthias sehr selbstbewusst, gar überheblich gewirkt hat.
Befindet sich Matthias in einer Manie, die Ihn nun arrogant, abgehoben, selbstverliebt und extrem aufgedreht wirken lässt?
Oder
hat Matthias durch seine Abenteuer in Neuseeland einfach nur extrem viel Selbstbewusstsein gewonnen? Er ist braun gebrannt, kräftiger geworden, und hat unendlich Stories parat, die er unbedingt seinen Freunden erzählen will. Durch das viele Reisen in Neuseeland scheint sein Heimatdorf winzig klein, und er schreitet stolz durch die Nachbarschaft.
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Matthias, 17 Jahre alt, nimmt seinen ersten Job in einem Baumarkt an, wird jedoch nach nur drei Wochen wegen abgehobenem Auftreten gefeuert. Im Kündigungsgespräch möchte Matthias unbedingt den Grund der Kündigung erfragen. Nachdem der Filialleiter keine Begründung nennen will, stellt Matthias auf Basis eines zuvor aufgeschnappten Mittagspausegesprächs fest: "Sie können ja nichteinmal Ihrem Sohn sagen, dass er sich einen Job suchen soll, wie können Sie dann einem Mitarbeiter sagen, warum Sie ihn rausschmeißen... In drei Jahren komm ich wieder und übernehm' den Laden."
Strahlt Matthias in einer manischen Phase Überheblichkeit, Abgehobenheit und Arroganz aus, die die Ursache für den Jobverlust, und dann im Kündigungsgespräch, trotz eigentlich guter Erziehung, zu solch unglaublich absurden Dreistigkeiten verleiten? Die Sache scheint klar...
...oder
aber hat sich Matthias schon seit Jahren auf seinen ersten Job gefreut, in dem er sich schon immer zum Ziel gesetzt hat, möglichst schnell in der Rangordnung aufzusteigen? Er berichtet seinem Chef nach wenigen Tagen schon von "besonders lobenswerten Mitarbeitern" und bringt ständig Verbesserungsvorschläge. Allerdings nicht aus manisch bedingter Überheblichkeit heraus, sondern weil ihm nicht bewusst ist, dass von ihm als Hilfsarbeiter lediglich seine Arbeit verlangt wird, und er davon abgesehen besser die Klappe hält.
Matthias ist sehr groß, sieht relativ gut aus und auf seinem Namensschild ist sein Adelsprädikat vermerkt. Aufgrund seines Übereifers, im Job aufzusteigen, wirkt er arrogant und aufgedreht. Erst der einzige Mitarbeiter des Unternehmens, der bald Abitur haben wird, und das ist jedem Kollegen bewusst. Er spricht eloquent, und da es sein erstes Mal in so einer Umgebung ist, weiß er nicht sich in Verhalten und Sprache anzupassen. Nicht eine Manie, sondern all diese natürlichen Gründe ließen ihn überheblich erscheinen.
Matthias war immer Klassenkasperl gewesen und in seiner Clique gehörten Mutproben zur Tagesordnung, wer zu Autoritätspersonen besonders respektlos sein konnte. Zuhause genoss er zwar eine gute Erziehung, wurde jedoch von seinem Stiefvater unter körperlicher und seelischer Misshandlung "zurechtgewiesen". Die Beleidigungen fruchteten jedoch nicht, sondern ließen Matthias bei persönlichen Übergriffen nur noch respektloser werden. Er gewöhnte es sich an, sich Angriffen mit Respektlosigkeiten und "Zurückschießen" zur Wehr zu setzen. Und so wollte er sich in seinem Entlassungsgespräch auch nicht so einfach "abfertigen lassen". Er hatte nie wirklich gelernt, was Respekt ist, und zollte ihn auch nicht dem Filialleiter.
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Sie sehen, es ist nicht immer so leicht zu differenzieren, ob jetzt eine Manie Schuld war, oder alles "ganz erklärlich und natürlich" ist. Sie brauchen nicht unbedingt weiterlesen, aber ich habe noch ein paar andere lustige, interessante Beispiele...
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Matthias, 19 Jahre alt, wird an seinem besten Stück operiert. Leider ist nach der Operation die komplette Eichel seines Penis taub. Er spürt dort nichts mehr, und hat große Befürchtung, dass Sex von nun an kaum noch möglich sei. Er verfällt ein ein großes Tief, vergräbt sich in Computerspielen, hat zwei Wochen lang ein erhöhtes Schlafbedürfnis und ist generell äußerst traurig verstimmt. Er bewegt sich gar nicht mehr aus seinem Zimmer, ernährt sich von Fertignahrung etc...
Ist Matthias tatsächlich in einer Depression? Schließlich hat er alle Symptome einer solchen. Antriebslosigkeit, Müdigkeit, will nicht raus aus seinem Zimmer. Nichts kann ihn faszinieren und Selbstmordgedanken sind präsent. Depressionsthema scheint der Gefühlsverlust an seinem besten Stück zu sein...
oder
ist Matthias einfach nur fucking traurig in so jungen Jahren vielleicht schon einen Teil seiner Libido verloren zu haben? Ist es nicht einfach normal, bei so einem Ereignis Existenzängste zu bekommen? Matthias macht sich Gedanken, ob er überhaupt noch etwas spürt, während er in einer Frau ist. Und wenn er nichts spürt, kann er dann vielleicht keine Erektion mehr aufrechterhalten? Ist es nicht völlig normal, dadurch in tiefe Trauer und Besorgnis zu verfallen?
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Auch hier ist die Grenze nicht eindeutig zu ziehen, wie ich finde. Oder doch? Letztes Beispiel.
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Matthias, 18 Jahre alt, schmiedet große Pläne fürs Leben. Er will reich werden, als großer Redner vor Publikum sprechen. Außerdem möchte er sich einen muskulösen Körper antrainieren. Er beschließt, keine Sekunde mehr verlieren zu wollen. Matthias fängt an einen auf die Minute getakteten Plan für jeden Tag aufzuschreiben. Er wird von nun an kein Gramm Zucker mehr zu sich nehmen und keine Pausen mehr einlegen. Er rast mit 30 Km/h durch die Fußgängerzone von A nach B, erledigt To-Do Listen in einem Tempo als hätte ihn der wilde Watz gebissen. Hochmotiviert wirft er die Gewichte an die Decke und geht frühzeitig schlafen, um am nächsten Morgen um 5 Uhr den Tag zu beginnen.
Ha, ganz klar manisch! Ist doch klar, minutiös geplante Tagesabläufe? Das ist keine Stimmungsschwankung mehr! ... oder?
Oder
will Matthias einfach seit er 14 Jahre alt ist selbstständig werden? Träumt seit geraumer Zeit von der eigenen Firma. Seit Jahren holt er sich im Netz Inspiration und hat sein "perfektes Leben" in der Theorie schon fertig erstellt... Matthias weiß genau was er will. Und was er will, ist große Taten vollbringen! Die Taube auf dem Dach, statt den Spatz in der Hand. Er will die Welt erobern, und das weiß er seit er zwölf ist. Auch in seinem ersten Job wollte er schließlich blitzschnell hoch hinaus. In ihm brennt einfach jugendliches Feuer. Mit 30 Km/h im Slalom durch die Fußgängerzone macht ihm sowieso Spaß. Was für andere also erstmal manisch erscheint, hat für mich irgendwo Realität. Ich will das! Und ich bin bereit dazu, dafür zu ackern. Besorgnis erregend ist bloß die kurze Dauer dieses Anflugs von Tatendrang. Denn den Tagesablauf minutiös planen macht Matthias, weil er keine Minute mehr verlieren will. Den Plan dann einzuhalten, schafft er jedoch nicht länger als eine Woche.
Tsja liebe Forumsmitglieder. Vom frühen Aufstehen bis zur perfekten Ernährung... Warum halte ich es nicht lange genug durch... Weil die Manie nach ca. 1,5 Wochen vorbei ist? Oder weil der verwöhnte Matthias kapiert, dass ihm das vielleicht doch ein bisschen zu doof ist auf Omis leckeren Kuchen zu verzichten. Und er merkt, dass auf die Minute geplante Tage extrem schwer planmäßig durchzuführen sind?
Also... Manisch-depressiv? Oder normale Stimmungsschwankungen? Was meint Ihr?
Vielen Dank, wer bis hierher gelesen hat! :-) Ich hoffe es war auch für Euch ein wenig unterhaltsam. :-) Und glaubt mir, selbst wenn für die meisten von Euch die Diagnose manisch-depressiv sehr eindeutig ist, das hat auch positive Seiten! ;-) Denn dann weiß man wenigstens, was Sache ist...
Für alle, die es interessiert, meinem besten Stück geht's wieder gut. :-D Das Gefühl ist wieder zurückgekehrt und damit auch die Freude an all den schönen Sachen, die es da noch so gibt... Außerdem hatte ich seit der Baumarktgeschichte drei gescheite Jobs, die allesamt einwandfrei verliefen und zufriedene Chefs hinterließen. Gefeuert worden bin ich jedensfalls bei keinem mehr. :-P
Was ich noch dazusagen muss. Ich wurde sechs Monate lang intensiv von meiner Familie beobachtet und es haben sich sehr regelmäßig ca. 15 Tage Depression auf 7 Tage normal auf 10 Tage Manie auf 7 Tage normal usw. herauskristallisiert. Nach der "99,9%"- Diagnose eines erfahrenen Psychologen habe ich meine Krankheit also mittlerweile größtenteils akzeptiert. Bin aber aufgrund oben beschriebener Problematik von "gänzlich überzeugt" noch weit entfernt. Ich freue mich auf Eure Antworten und Beurteilungen.
Einen schönen Tag noch,
Matthias
