Lieber Stefan,
was du geschrieben hast, war keinesfalls zu heftig. Ich finde, wenn es um den Glauben geht, kann es gar nicht heftig genug sein. ;-) Wir sollten Gott - und seine "Vertreter auf Erden" - ruhig offen mit dem konfrontieren dürfen, was wir denken. Gott laut anschreien ist das Beste, was du machen kannst, wenn du wütend auf ihn bist.
Da positives-denken mich auch auf die Theodizeefrage angesprochen hat, will ich da mal etwas ausführlicher werden.
Du schreibst, dass du daran zweifelst, ob es eine Antwort auf diese Frage überhaupt gibt. Damit bist du in bester Gesellschaft. Es gibt Kleriker in höchsten Rängen, nicht zuletzt unseren Papst, die sagen: man soll eine >Theologie des Schweigens< betreiben, was die Theodizee angeht; es gäbe nämlich keine Antwort auf diese Frage.
Erklärungen, warum es keine Antwort gibt, existieren dabei verschiedene. Einige Theologen sagen, es sei anmaßend von uns Menschen, überhaupt eine Antwort finden zu wollen - Gott sei schließlich ein überirdisches Wesen, und er werde uns sicher nicht den tieferen Sinn des Leidens offenbaren.
Oder, einige sind auch realistisch genug, um zu sagen: es gibt einfach keine vernünftige Erklärung für die Theodizee, also warum sollen wir uns weiter quälen und nach einer suchen?
Und dann gibt es aber die vielen anderen, die versuchen, eine Lösung für das Problem zu finden.
Leider sind diese Lösungsvorschläge oft unzureichend. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es verschiedene Arten von Leid gibt. Es gibt Leid, für das der Mensch nichts kann - z.B. Naturkatastrophen (wobei man da auch wieder streiten kann, wg. Klimawandel). Dazu gehören auch Unfälle. Oder, um beim Thema dieses Forums zu bleiben, Krankheiten. Andererseits gibt es Leid, für das der Mensch etwas kann. Sämtliche Verbrechen gehören dazu, quasi die "böse Seite" des Menschen.
Die meisten Lösungsverschläge für die Theodizee erklären entweder die eine Art des Leids, oder eben die andere. Eine ganzheitliche Lösung zu finden, das scheuen die meisten. Oder - sie schaffen es einfach nicht.
Nehmen wir uns mal dem Leid an, für das der Mensch nichts kann. Denn dort entstehen dann die Situationen, in denen die Menschen fragen: "Warum, Gott, warum lässt du das geschehen?" Wenn es keinen (menschlichen) Schuldigen gibt, gehen viele dazu über, Gott anzuklagen. Was übrigens auch nichts Falsches ist, ich halte die Klage an Gott, die auch in Hiob auftaucht, für etwas sehr Sinnvolles. Jedenfalls entsteht die Frage, warum Gott so viel unerklärliches Leid zulässt. Dazu gibt es natürlich verschiedene Positionen. Zum Beispiel, wie schon erwähnt, dass wir Menschen es eben nicht verstehen können, weil wir endlich sind und Gott unendlich ist. Wie das Sprichwort: "Gottes Wege sind unergründlich". Ich denke aber, und mit mir viele Theologen, dass man nicht darum umher kommt, Gottes Allmacht zu relativieren. Das Dreieck Allmacht - Allgüte - Allwissen kann im Angesicht der Theodizeefrage nicht bestehen bleiben. Das bedeutet, Gott kann nicht allmächtig sein. Was das für Auswirkungen auf den Schöpfungsglauben hat, ist dann noch einmal eine ganz andere Geschichte.
Wenn Gott nicht allmächtig ist, heißt das aber nicht, dass ihm unser Leid egal ist. Es gibt (berühmte) Theologen, die sprechen von einem >mitleidenden Gott<. Und damit ist nicht nur das Leiden Jesu gemeint... das ist nur der symbolische Akt. Gott leidet aktiv mit uns Menschen. Naja, das macht ihn zwar sympathisch ? aber eine richtige Antwort ist das, finde ich, nicht...
Gehen wir mal zur zweiten Sorte Leid. Warum, so kann man fragen, gibt es so viele Menschen, die Gottes Willen missachten und stehlen, vergewaltigen und morden? Warum bietet Gott diesen Menschen nicht Einhalt? Eine der plausibelsten und auch weit verbreiteten Antworten hängt mit der Freiheit des Menschen zusammen. Gott hat uns, wie ich schon einmal geschrieben habe, als Lebewesen mit einem eigenen, freien Willen erschaffen. Er hat uns lediglich Anhaltspunkte gegeben, wie wir leben sollen ? sein Wille ist durchaus bekannt. Ob wir diesem Willen folgen, oder nicht, das bleibt uns überlassen. Hätte Gott uns die Möglichkeit, ?böse? zu sein, von vorneherein genommen, wären wir keine freien Menschen.
So, das war jetzt schon ziemlich theologisch. Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich ausgedrückt. Freue mich auf Rückfragen. :-)
Lieber Gruß
die kleine Maus
26 J., w., süddt. Raum, Angehörige, Papa bipolar seit '91
Quote
Johann W. Goethe
Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 04.10.11 19:20.