Hallo Heike,
ja sorry, habe wieder eine Zeit vergehen lassen.
Ich habe viele schöne und interessante Eindrücke mitgebracht.
Heike schrieb:
-------------------------------------------------------
>
> Wenn man Erfahrungen mit noch weitaus mehr Tabus
> in der Gesellschaft gemacht hat, kann ich mir
> vorstellen, dass man einerseits die hiesige
> "Freiheit" doch mehr zu schätzen weiß und
> wesentlich bewusster bemerkt, was hier doch schon
> alles möglich ist und andererseit, wie behindernd
> Tabus sich auswirken können und statt Austausch
> nur Schweigen da ist.
Ja, dass war bisher auch meine Meinung... allerdings meinte ich es jetzt anders.
Ich war im Nahen Osten in Jordanien, ein friedliches Land mit sehr freundlichen und warmherzigen Menschen. Es gibt dort Tabus, das heißt nicht alles ist besprechbar aber sie weichen etwas auf.. Auf der anderen Seite ist dieses Land ein friedlicher Pol oder Ort in diesem Großraum Naher Osten, der von Krisen und Kriegen nur so geschüttelt ist, die wir so hier in unserem Land auch nicht mehr kennen. Sie haben, ich glaube, so ca 20% von ihrer Bevölkerungsanzahl als Flüchtlinge aufgenommen bei großer Armut auch im eigenen Land. Ich frage mich, seit ich zurück bin, ob die Tabuerfahrung einen Einfluss darauf hat, dass erstmal Frieden im Land bestehen bleiben kann und dass sie es schaffen, sich aus den Konflikten rund herum heraus zu halten, was ich wirklich als Segen sehe.
Freiheit ist auch immer die Freiheit des anders Denkenden, wie Rosa Luxemburg so treffend formulierte. Freiheit braucht als Pendant unbedingt die Verantwortung. Falsch verstandene Freiheit kann auch behindern.
Wenn ich jetzt auf das uns betreffende Tabu, Suizid und Suizidalität, zurück komme, stelle ich fest, ein Stück besprechbarer ist dieses Thema durchaus in den letzten Jahrzehnten geworden. Warum war und ist es z.T. noch immer ein Tabu-Thema?
Ich könnte mir vorstellen, das es für viele Meschen sehr schmerzlich ist, darüber zu reden, wenn sie eine solche Erfahrung mit nahen Menschen gemacht haben. Wir wissen beide um die leidige "Schuld"-frage die dabei immer mitschwingt.
Zum anderen kann es handfeste Gewalt-, Kriegs- und andere Entwicklungen im Leben von Menschen geben, z.T. transgenerational weiter gegeben ohne dass spätere Generationen überhaupt davon etwas ahnen, die deren Suizidalität befördern können.
In meiner Religion ist Suizid eine Sünde und war damit lange ein Tabu. Auch dort kann man inzwischen darüber reden, z.B. in der Telefonseelsorge von einem Berliner Pastor gegründet.
Wann konnte dieses Tabu beginnen aufzuweichen? Ich vermute, als so allmählich die komplexen Faktoren, die einen Suizid begünstigen, beforscht wurden und sich Möglichkeiten abzeichneten damit umzugehen und nicht mehr ganz so hilflos zu sein.
Offene und subtile Zustände von Gewalt, Herrschaftsmacht, Erpressung und anderen Verbrechen hier in unserer Gesellschaft sind für Opfer nach wie vor schwer zu benennen.
Brauchen Tabus Bedingungen, die ein Aufweichen möglich machen? Braucht es eine Einbettung von Suiziddiskursen in eine dafür befähigte Gesellschaft, befördert von Forschung und Wissenschaft über diese hinaus?
>
> Ja, sicherlich, die Gesellschaft, aber vor allem
> auch die Hilfesysteme haben auch dazu gelernt,
> vielleicht auch eben mit Hilfe von mutigen Outern
> und Vordenkern und ich hoffe es geht in diese
> Richtung weiter, so dass über Tabus noch mehr
> gesprochen werden kann im Sinne von
> Preventionsmöglichkeiten.
Prävention zum Schutz nachfolgender Generationen finde ich auch ganz wichtig.
> Klar soll es auch ein Schutz sein, gerade wenn
> jemand ganz dicht dran ist und sich gerade nicht
> so abgrenzen kann. Da ist es natürlich eine
> Kunst, das Thema so anzugehen, dass einerseits
> Schutz da ist, aber andererseits, eine
> Möglichkeit des Austausches über den hilfreichen
> Umgang damit möglich ist. Im Forum ist es
> natürlich noch schwieriger, als im Austausch von
> Angesicht zu Angesicht.
Dennoch bin ich dankbar, hier im Forum Suizid und die Tabus in Bezug darauf erst einmal benennen zu können.
> Zum Thema Aufbau meiner Wahrnehmung und meines
> Umgangs. Sicherlich sind das gute Ressourcen, aber
> ich selber würde wie ein guter Bergsteiger, mich
> nicht durch meine Erfahrung in Sicherheit wiegen,
> sondern weiterhin achtsam sein. Ich weiß eben
> auch, dass es bei mir Zeiten gibt, wo es mir
> schwer fällt an meine eigenen Ressourcen zu
> kommen. Nicht immer sind sie bei mir auch stets
> abrufbar.
Schritt 1, die eigenen Ressourcen kennst du. Wichtig.
Schritt 2, schauen, was dir mitunter den Zugang zu deinen Ressoucen verbaut, gehst du möglicherweise schon und ebenso Wege, dir deine Ressourcen auch in den schwierigen Zeiten nutzbar zu machen?
Wie wäre es mit Gelassenheit statt Sicherheit?
LG
s.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 29.11.19 17:41.