Hallo Alex,
ich danke dir, ich kann durch deine detaillierten und klaren Schilderungen auch sehr viel Parallelen zu mir erkennen. Was mich schon stark ueberrascht - man meint ja oft ein Stueck weit allein zu sein mit dem was einem so plagt.
Wenn ich es mir recht ueberlege war ich schon immer rapid-cycler. Mein Arzt meint ich qualifiziere mich mittlerweile als ultradian cycler, weil ich durchaus mehrere hypomanische (bin Typ II) oder depressive Episoden innerhalb eines Tages durchlaufen kann. Ich kann mich an eine halbwegs normale Zeit erinnern - ich hab da viel Sport gemacht, meditiert und Buecher von Eckhart Tolle und ueber Buddhismus gelesen. Ich war extrem wachsam und hatte einen Job, der mich massiv unterforderte und mir viel Freiheit gab aber dadurch nicht stresste. Aber dann hat man mir mehr Verantwortung gegeben und ich bin in die naechste Beziehung gestuerzt und alles fing von vorne an. Obendrein wurde ich abhaengig von Benzodiazepinen.
Komorbiditaeten sind auch bei mir ein Thema, man sagt ich habe ADHS und eine schizoide Persoenlichkeitsstoerung. Ersteres ist wohl recht verbreitet unter bipolaren Menschen und letzteres sieht man allgemeinhin in der Kindheit begruendet. Ich muss wohl irgendwann fuer mich den Schluss gezogen haben, dass zwischenmenschliche Beziehungen nicht befriedigend sind. Pubertaet und Bipolaritaet haben diese Stoerung natuerlich maskiert. Ausserdem lernt man sich zu verstellen, so gut, dass man es schon fast selbst glaubt. So mag es bei dir vielleicht auch etwas schwierig sein eine Persoenlichkeitsstoerung genau zu diagnostizieren - die Zustaende ueberlagen sich zum Teil. Auch darf man keine Wunder von Psychotherapie erwarten. In meinem Fall solle ich social skills aufbauen und so in die Lage versetzt werden neue und positive Erfahrungen zu sammeln - thats it, no magic involved.
Ich halte Selbstwertprobleme bei Bipolaritaet fast schon fuer eine logische Konsequenz. Ich mein man entspricht nicht der gesellschaftlichen Norm und reimt sich so im Laufe seines Lebens gewisse Theorien zusammen, die diesen Umstand erklaeren zu versuchen. Das heisst natuerlich nicht, dass es nicht andere tiefgreifendere Gruende dafuer geben koennte.
Ich hab schon einiges an Medikamenten durchprobiert, aber momentan behandele ich weder ADHS noch die bipolare Stoerung medikamentoes. Bisher war ich nur ambulant in Behandlung weil ein stationaerer Aufenthalt fuer mich wegen der schizoiden Persoenlichkeitsstoerung schwer vorstellbar ist. Jedes Medikament hatte so seine Wirkungen und Nebenwirkungen mit denen ich nicht leben wollte. Stimmungsstabilisierer gingen in meinem Fall bei niedrigen Dosen mit einer Benommenheit einher, die mich quasi meiner Arbeits-/Denkfaehigkeit beraubten. Ausserdem kann es vorkommen, dass du dich selbst nicht mehr erkennst, ich mein als Person, dein Verhalten wird anders sein - besser vielleicht. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich oft in den Spiegel blickte und ich mich fragte, ob ich das bin (ich mein nicht im uebertragenen Sinne, sondern ein tatsaechliches Gefuehl der Fremdheit) - hab spaeter erfahren, dass das eine Art Nebenwirkung war :)
Mit antriebssteigernden Antidepressiva (etwa Venlafaxin) und Benzodiazepinen (insb. Lorazepam/Tavor) rate ich zur Vorsicht. Ich finde heute noch Tavor in verschiedenen Jacken- und Hosentaschen. Mit Lithium und Aripiprazol (Abilify) hatte ich noch die besten Erfahrungen gemacht. Seroquel/Quetiapin - quasi die aktuelle eierlegende Wollmilchsau der Pharmaindustrie habe ich nicht vertragen. Wenn du gesunde Nieren hast, wird dich wahrscheinlich dein Arzt erstmal auf Lithium einstellen wollen. Ich denke an einem Punkt wirst du es ausprobieren und es wird dich aller Voraussicht nach nicht umbringen. Vielleicht ist es fuer dich ja ein Game Changer.
Sport, Arbeit, Sex, sozialer Umgang - das kann ich dann alles etwas anders anfuehlen, wenn du mal mit den Medikamenten anfaengst. Die Leute koennen das auch bemerken. Vielleicht sagen sich "Freunde" von dir los, weil du nicht mehr so "fun" bist. Ausserdem weil du von Sport und selbstwert sprichst - du koenntest signifikant an Gewicht zulegen und Wasser einlagern. Die Wahrscheinlichkeit, dich irreversibel zu schaedigen, weil du mal ein Jahr die Standarddosis an Lithium nimmst halten die Mediziner fuer aeusserst gering, Gesundheit, korrekte Einnahme und regelmaessige Spiegelchecks vorausgesetzt.
Eine Alternative zur Beendigung der Beziehung zu deiner Partnerin waere vielleicht gewesen, dass du deinen Zustand kommuniziert haettest. Glaub mir dieses Gefuehl des Verabscheuens geht so schnell wieder weg wie es gekommen ist - du erwaehntest On-Off-Beziehungen - das ist typisch und auch ein Zeichen dass du sie nicht wirklich abstossend findest. Eine verstaendnisvolle Partnerin, selbst wenn du ihr nicht alle Tage deine Zuneigung im vollen Masse zeigen kannst, kann dir enormen halt geben. Es ist hart allein alles zu meistern und der Drang sich in eine neue Beziehung und in eine neue Manie zu stuerzen wird dadurch auch gemildert.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 16.03.22 08:09.