Schnaps und Kartoffelsalat
Teil 2
Zwei Tage später besuche ich Opa.
Die Pflegerin guckt komisch, als ich sage, dass ich zu Herrn Klöckner möchte.
"Warum hat die so komisch geguckt?", frage ich Opa, als wir allein sind.
"Wahrscheinlich, weil ich ihr Grünzeug nicht will", brummt er. Es ist Advent. Jedes Zimmer bekommt ein Gesteck.
Opa hat seines aus dem Fenster geworfen. "Das sah aus wie bei meiner eigenen Beerdigung", sagt er und kichert.
Damit ist die Sache für ihn erledigt.
Ich muss auch ein bißchen kichern, obwohl ich ahne, dass Mama das nicht lustig fände. Seitdem heißt es: Herr Köckner
ist renitent. Ich weiß nicht, was das ist, und Opa erklärt mir, dass das auch nichts macht, weil es ohnehin Quatsch ist.
"Nur weil ich so'n Gedöns nicht will. Hast du Zigaretten?" Ich nicke. Opa setzt sich ans Fenster und raucht.
"Darf man auch nicht", sagt er und zuckt mit den Schultern.
Ich wundere mich, dass man so viele Sachen nicht darf. Bisher dachte ich immer, je älter man wird, desto mehr darf man.
Hier scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Ich beschließe, später genauer darüber nachzudenken.
Als ich Opa das nächste Mal sehe, wirkt er bedrückt: "Fehlt dir was?" Opa schüttelt den Kopf: "Im Gegenteil. Ich will einfach
nur meine Ruhe. Andauernd kommt wer und will Weihnachtslieder singen oder Gymnastik machen. Ich will hier sitzen und
Radio hören."
Ich kann das verstehen. Mama nicht.
"Ich mache mir Sorgen", sagt sie beim Abendessen, und ihre Stirn ist gefaltet. "Das Heim hat angerufen, Vati nimmt an nichts teil. Nicht mal Strohsterne basteln will er". Ich kann mir Opa nicht beim Basteln vorstellen. Papa nuschelt irgendwas und belegt sehr konzentriert sein Brot mit Salamischeiben.
Fünf Tage vor Weihnachten hat Opa es geschafft, alles zu verweigern. Die Strohsterne, das Krippenspiel der Kita, die Advents-
andacht der evangelischen Kirche, die Adventsandacht der katholischen Kirche, die meditativen Tänze (auch im Sitzen mit-
zumachen) und den Vorleseabend einer unbekannten Literatin im Ruhestand. Er wird als depressiv eingestuft.
Wenn ich komme, sitzt er man Fenster und raucht. Ich spiele mit seinen Schachfiguren und freue mich, dass Opa der einzige Mensch auf der Welt ist, der nicht nach meinen Hausaufgaben fragt.
Dann kommt Weihnachten. Mama beschließt nach langem Hin und Her, Opa vor der Kirche aus dem Heim zu holen und nach der Wildente zurückzubringen. "Mehr schaffst du nicht. Das erschöpft dich zu sehr." Opa wirkt nicht erschöpft.
Mama sagt, das könne ich nicht beurteilen.
Opa schnaubt: "Wildente. So ein Schnickschnack! Ich will Kartoffelsalat und einen Schnaps!" Mama erklärt ihm, dass Schnaps nichts für 92-Jährige sei und dass er sich in seinem Alter jawohl was Besseres als Kartoffelsalat gönnen könne, worauf Opa ruft, das wolle er gar nicht, worauf Mama ruft, Ops sei stur.
Am Heiligenabend ist Opa weg.
Als Papa ihn um fünf Uhr abholen will, ist sein Zimmer leer.
Fortsetzung folgt.
(aus "Das Weihnachtsschaf" von Susanne Niemeyer)