Wie es ist, mit der Angst Kaffee zu trinken
"Kaffee?"
"Nee", sagt die Angst. "Lieber nicht".
Davon kann man Herzrasen bekommen. Oder Magengeschwüre.
Solltest du auch drauf achten. Für mich nur Wasser, bitte. Warmes Wasser."
Das fängt ja gut an, denke ich. Den Käsekuchen brauche ich wohl erst gar nicht ins Gespräch zu brngen.
Ein freudloses Kaffeetrinken.
Die Angst zuckt nur mit den Schultern, weil sie meine Gedanken kennt.
Natürlich kennt sie meine Gedanken, meine geheimsten sogar.
Das ist es ja, was uns verbindet.
Sie weiß, auf welcher Saite sie mich berühren muss, damit ich anschlage.
Ich räuspere mich. Ich will die Oberhand behalten, das ist so ein dauerndes Ringen zwischen uns.
"Und", frage ich, "wie geht es dir?"
"Ach", sagt die Angst, "ich habe Angst".
Nicht, dass mich das überraschen würde.
"Wovor denn?"
"Dass du mich verlässt."
Oha, denke ich. Und. Sie kennt mich wirklich gut, denn natürlich hätte ich es am liebsten, dass sie verschwindet.
"Ohne dich bin ich nichts", flüstert sie, und jetzt tut sie mir fast ein bisschen leid. Aber das legt sich schnell wieder,
als sie fortfährt: "Wenn du mich verlässt, werden schlimme Dinge passieren. Niemand wird dich beschützen.
Aber ich kann dich beschützen. Mit mir passiert dir nichts." Sie guckt verschwörerisch.
"Das ist ja ein nettes Angebot", erwidere ich, "aber du bist so ... besitzergreifend ..."
"Weil du mich lowerden willst!" Jetzt kreischt sie fast.
Sie kann wirklich schnell panisch werden.
"Will ich doch gar nicht", versuche ich zu beschwichtigen, obwohl das eine Lüge ist. "Na gut, will ich doch.
Kannst du nicht vielleicht ein bisschen entspannter werden?"
"Wie denn?" fragt die Angst, "wenn ich doch all die Katastrophen vor Augen habe, die passieren könnten!
Flugzeugabstürze! Riesenspinnen! Ewige Einsamkeit! Ein Dasein unter der Eisenbahnbrücke!
Tückische Krankheiten! Terroristen! Schlünde, die sich plötzlich auftun!"
"Schon gut, schon gut", unterbreche ich sie. "Du übertreibst."
Sie sieht mich mit aufgerissenen Augen an, und ich merke sofort, dass Abwiegelung die falsche Strategie ist.
"Also gut", sage ich, "wir drehen die Sache einfach um: Ich passe auf dich auf. Dass dir keiner etwas tut.
Ich wehre alle Gefahren von dir ab. Ich werde Spinnen fangen, ausreichend Obst essen und
Eisenbahnbrücken nur zum Queren benutzen."
"Kannst du das denn?"
Sie traut mir nicht viel zu.
"Für dich", erkläre ich feierlich, "werde ich es erlernen."
An dieser Stelle wären jetzt Sonnenuntergang, Zoom und Kuss angebracht. Aber so weit will ich dann doch nicht gehen ...
mag ich: Der Angst ins Auge sehen. Nachts im Wald sein. Das Märchen von einem, der auszug, das Fürchten zu lernen.
Seinen Spielraum erweitern. Betäubung beim Zahnarzt. Geisterbahnen. Stoßgebete.
Merken, dass etwas gar nicht so schlimm war.
Buchautorin: Susanne Niemeyer