Wie es ist ein Leben zu wählen
Ich habe keine Kinder. Das ist kein Mißgeschick, keine Gedankenlosigkeit, keine Laune der Natur, keine Bequemlichkeit,
und es hat auch nichts damit zu tun, dass ich Kinder nicht mag.
Ich habe keine Kinder, weil ich nie die Sehnsucht danach spürte. Und ich rede jetzt nicht von diesen Momenten, wenn ich eine bildhübsche Familie im Herbsturlaub tollen sah und dachte: Oh wie schön! Das will ich auch. Denn so ein Gefühl blitzt in vielen Dingen auf. Ich werde wehmütig, wenn ich einen Schäfer mit seiner Herde sehe oder einen Fischer auf seinem Kutter.
Trotzdem habe ich nie ernsthaft erwogen, zur See zu fahren. Es gibt so viele Dinge auf der Welt, die ich schön finde.
Die mich locken. Wenn ich jedem dieser Dinge nachgehen würde, müsste ich alle zwei Wochen mein Leben ändern -
oder wenigstens mein Wohnzimmer neu streichen. Das Leben bietet tausend Wege.
Die Frage ist: Welcher ist meiner?
Mit 16 träumte meine beste Freundin davon, Mutter zu werden. Wir saßen bei Vanilletee und Räucherkerzen und malten uns unsere Zukunft aus. Ich träumte davon zu schreiben. Ich träumte davon, an einem anderen hellen, ruhigen Ort zu leben. Ich träumte von Gott und Wiesen, ich träumte von Liebe und Bücherregalen.
Ich wurde älter, und mein Traum blieb. Er nahm Formen an: Ich träumte von einem Leben zwischen Denken und Glauben, zwischen Stockrosen und Containerschiffen, zwischen Stille und Begeisterung. Ich träumte von einem Schreibtisch am Fenster und einem Küchentisch voller Freunden. Ich träumte von einem Liebsten im Bett und Weihrauchtagen im Kloster. Der Gedanke an eine Familie bleib blass.
Meine Freundin hat zwei Kinder bekommen. Sie ist glücklich. Ich bin es auch. Ich glaube das ist Berufung. Ich mag das Wort.
Ich mag die Vorstellung, dass es etwas gibt, das mich sucht. Das beharrlich zwischen den vielen Stimmen meinen Namen ruft.
"Komm zu mir", ruft es, "ich bin dein Leben. Ich mag sonderbar, schief und gefährlich aussehen, aber vertrau mir: Ich mache
dich glücklich. Ein Heile-Welt-Versprechen ist das nicht. Du wirst zweifeln, du wirst erschöpft sein und manchmal wirst du mit
mir hadern. Du wirst dich fragen, ob es richtig war, mir zu folgen. Es wird Nächte geben, in denen zu wach liegen wirst.
Du wirst kämpfen und manchmal wirst du auf die anderen neidisch sein, die es soviel leichter zu haben scheinen.
Nicht alles wird gelingen. Aber du wirst glücklich sein. Weil ich deine Sehnsucht stille. Weil ich dir Sinn gebe.
Weil wir zusammen gehören".
Ich lebe und lausche jeden Tag.
(aus "Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst" von Susanne Niemeyer)