Frieda trägt ihr Blümchenkleid
und ein paar andere Sachen
Als Gott seine Nachmittagsrunde dreht und rechts hinterm Bahnhof in diese kleine Seitenstraße einbiegt,
deren Namen er sich nie merken kann, sieht er Frieda.
Frieda mit dem Blumenkleid. An ihrem Armen hängen Tüten. Eine Menge Tüten, mehr Tüten als sie eigentlich tragen kann.
Sie sind prall gefüllt, und es sind Tüten von abgetragener Art. Dass sie nicht neu sind, sieht Gott sofort. Dass keine Einkäufe darin liegen, keine Äpfel, die Frieda zuhause in eine Schale legen wird. Der Rücken von Frieda ist rund vom vielen Arbeiten
und auch sonst. Bestimmt schneiden die Tüten Kerben in ihre Hände.
Gott beschleunigt seinen Schritt. "Darf ich?", fragt er, als er sie eingeholt hat.
Frieda sieht auf. In ihrem Blick blitzt Erstaunen auf; aber auch ein Erkennen, als seien sie einander irgendwann schon einmal begegnet. Falten durchziehen ihr Gesicht, furchengleich. Unmöglich zu schätzen, wie alt Frieda ist. Aber sie lächelt.
"Ach", sagt sie, und vielleicht will sie fortfahren und etwas sagen wie: Nicht nötig. Es geht schon. Aber sie zögert, und während dieses Zögerns nimmt Gott ihr vorsichtig eine Tüte ab und dann noch eine, so richtig gentlemanlike; das hat Frieda schon lange nicht mehr erlebt.
Die Sonne scheint an diesem Nachmittag und trotzdem ist die Straße leer. Zwei Tauben streiten um ein halbes Rosinenbrötchen, im Rinnstein liegt eine leere Coladose. Sonst ist nichts Besonderes zu sehen. Nur die beiden, wie sie dastehen. Gott und Frieda.
"Da hat sich viel angesammelt", sagt Frieda, als wolle sie sich entschuldigen. Viele Erinnerungen, unangenehme Erinnerungen (die schönen, die bewahrt Frieda woanders auf). Grübeleien, die nicht abgeschlossen sind. Ungelöste Fragen. Wirres Zeug, schweres Zeug. Sehr schweres Zeug.
"Man weiß ja gar nicht, wohin damit." Frieda zieht die Schultern hoch. "Jetzt schleppe ich das eben mit mir herum.
Was soll man machen?"
Gott nickt, als wisse er genau, was sie meint. "Darf ich?", fragt er noch einmal. Vielleicht fasst sie Vertrauen zu ihm, denn er hat sanfte Augen, jedenfalls gibt sie auch die restlichen Tüten eine nach der anderen ab. Bis sie da steht mit leeren Händen.
Aber leicht, sehr leicht. Wie Flügel heben sich ihre Schultern.
Gott lächelt ihr noch einmal zu, und dann geht er davon.
"Aber", ruft Frieda, "Sie können doch nicht ... Was wird denn mit den schweren Sachen?"
"Schon gut", ruft Gott, bevor er hinter der nächsten Ecke verschwindet. "Ist schon gut. Vergessen Sie's!"
(aus "Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst", Susanne Niemeyer)