Genau meine Meinung. Mein dritter Therapeut, der einzige, bei dem ich mehr als eine handvoll Stunden nahm, war der erste, der sich auf meine Ressourcen und nicht meine Defizite beschränkte. Auch meinen Wunsch nach Autonomie nahm er an. In dieser Zeit hatte ich schon neben dem Studium einen Nebenjob aufgenommen, sodass ich finanziell unabhängiger von meinen Eltern wurde. Natürlich nicht komplett, denn ein zeitaufwendiges Studium 100% selbst finanzieren, hätte ich nicht geschafft. Aber zumindest teilweise. Dadurch konnte ich auch wieder in ein WG-Zimmer ausziehen.
Er hatte die Meinung: "Du kannst schon mehr machen als nur studieren, Stress kann man auch reduzieren, indem man seine innere Einstellung ändert. Außerdem gibt ein kleiner Nebenjob Struktur". Und das war wirklich so, mit Nebenjob schaffte ich das Studium besser als ohne. Weil ich mir wieder mehr zutraute und auch direktes Feedback und Struktur bekam.
Autonomie war bei mir immer ein Thema, denn obwohl ich wahnsinnig viel auf die Reihe kriegte (habe während der Schule viel im Haushalt geholfen, hatte einen Nebenjob und Hobbys), wurde mir eher wenig zugetraut in der Lebensführung. Das befeuerte mich erst in der Hinsicht, zu viel zu tun, da ich dachte, ich müsste einfach noch mehr tun, damit mir was zugetraut wird. Bei Behandlern, die dieses Muster des Nicht-Zutrauens fortsetzten fühlte ich mich noch schwächer und gesund wäre ich garantiert nicht wieder geworden.
Aber ich bin sehr froh, dass ich danach etwas eigenwillig meinen eigenen Weg gegangen bin. Ein Nebenjob oder ein WG-Zimmer hätte mir so mancher Behandler oder mein Umfeld wahrscheinlich aus Angst ausgeredet. Also habe ich mein Umfeld einfach vor vollendete Tatsachen gestellt und das hat gut funktioniert ;-). Natürlich nicht planlos, in kleinen Schritten:
1. Erst nen Nebenjob aufgenommen.
2. Erste Nebenjob klappte nicht (hat mir nicht gelegen, Einlernkraft hat jeden einzelnen Mitarbeiter den ganzen Tag nur angeschrien, wurde gekündigt).
3. Zweiten Nebenjob gesucht (befristet auf ein paar Monate): klappte sehr gut und bekam sehr gutes Arbeitszeugnis.
4. Dritten dauerhaften Nebenjob angefangen, wo alles gut klappte.
5. Geguckt, ob ich den Job neben Studium dauerhaft (1 Jahr) durchhalte
6. Mir gings sogar viel besser in allen Bereichen. Mein ganzes Leben stabilisierte sich komplett.
7. WG-Zimmer gesucht, nachdem soweit alles stabil war.
8. Weitere Stabilisierung durch mehr Autonomie
So mancher Behandler hätte bei 2. gesagt: Stop! Das ist vielleicht zu viel für Sie! Mein Therapeut meinte: "Naja, Sie sagten ja, Sie fühlten sich weder mit der Aufgabe noch mit der Vorgesetzten wohl. Das kann passieren. Suchen Sie doch einen Job, der besser zu Ihnen passt. Was können Sie gut? Was gibt es für Jobs in diesem Bereich?"
LG
Tagtraum
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 09.12.18 16:41.