Hi Friday,
ich stimme dir vollkommen zu, es gibt eine Menge, was Profis von Betroffenen lernen können.
Ich hatte regelmäßig Gespräche mit einem Sozialarbeiter, der beim Sozialpädagogischen Dienst seit Jahrzehnten Kriseninterventionen aller Art begleitet, sozusagen die "Hardcore-Fälle", wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, aber auch niedrigschwellige Angebote, wie eben zwanglose regelmäßige Gespräche anbietet.
Dabei kam heraus, dass er kaum je schwer Betroffene außerhalb von Krisen kennenlernt und viele Dinge nicht wusste, die ich für essentiell für das Verständnis von bipolarer Störung halte.
Ein Beispiel: Wir unterhielten uns über Wahnideen bei affektiven Spitzen, depressiv wie manisch, und es kam heraus, dass er keine Ahnung hatte, dass auch Bipolare unter schwerem Verfolgungswahn leiden können. Für ihn war das bis dahin nur für Schizophrenie und Angsterkrankungen bekannt, was mich sehr überrascht hat.
Ein weiteres Thema, das wir oft bearbeitet haben, war Anwendung von Zwang in der Behandlung und was eine Patientenvereinbarung enthalten müsste, damit Bipolare sich darauf einliessen könnten, um eine effektivere Behandlung zu ermöglichen. Dabei kam heraus, dass ihm nicht klar war, dass eine Patientenvereinbarung, die im Ernstfall überhaupt nicht beachtet wird, nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben ist, also die Grundvoraussetzung für ein Vertrauen von Seiten des Betroffenen schon gar nicht erfüllt ist.
Man muss dazu sagen, dass hier in Schleswig-Holstein im Gegensatz zu z.B. den südlichsten Bundesländern Zwangsmaßnahmen bzw. Einweisungen so kurz wie irgend möglich gehalten werden. Richterliche Einweisungen mit Dauern von 6 Wochen werden hier quasi niemals erwirkt, hier geht es um 3-Tages-Abstände, in denen Zwangsaufenthalte richterlich geprüft werden, wenn ich ihn richtig verstanden habe.
Die Tragweite der Körperverletzung, die eine Zwangsmedikation für den Betroffenen hat, war ihm auch nciht wirklich klar.
Und der ist nun ein Profi, der wirklich ein Interesse an seiner Arbeit hat, und sehr darauf bedacht ist, im Sinne der Betroffenen zu handeln und Schwellen abzubauen.
Ich glaube, es gibt auf diesem Gebiet sehr viel zu tun.
Mehr fällt mir nun spontan nicht dazu ein.
LG,
M.