Ich streng mich die ganze Zeit an, Friday :)
Also, ein neuer Punkt. Hier können zwar die Profis nicht direkt etwas von den Patienten lernen, aber sehr wichtige Erkenntnisse für ihr zukünftiges berufliches Handeln mitnehmen.
Ich fordere das schon lange, wahrscheinlich ohne großen Erfolg, aber ich bin so überzeugt von der Sinnhaftigkeit der Idee, dass ich nicht davon ablassen kann:
Zur Ausbildung eines Psychiaters sollte meiner Ansicht nach
zwingend gehören, sämtliche Wirkstoffe, die er später einmal seinen Patienten verschreibt, im Selbstversuch zu schlucken oder sich spritzen zu lassen. Und zwar bis zur zulässigen Höchstdosis, nicht nur für einen Tag, sondern über längere Zeit, durch Blutspiegel verifiziert - man sollte sich nicht drücken dürfen.
Ich bin überzeugt, dass nach dieser Erfahrung viel weniger oft jene Elefantendosen verabreicht werden, nach denen man nur noch platt auf dem Rücken liegt, wie gelähmt, manchmal sabbernd, krampfend, das aber bei vollem Bewusstsein der eigenen Erbärmlichkeit. Ich habe genau das mehrmals auf sogenannten geschützten Stationen erleben dürfen - nennen wir sie doch lieber zutreffender „Geschlossene Verwahranstalten“. So etwas erleiden und erdulden zu müssen ist nichts als entwürdigend und quälend. Und es muss nicht einmal sein. Viel geringere Dosen haben auch schon den Effekt, dass es ruhig bleibt auf der Station, aber sie fahren nicht so brutal ein, es ist menschlicher, erträglicher, würdevoller.
Wohlgemerkt: Ich habe nichts gegen Medikamente im Allgemeinen, es können gute und sinnvolle Krücken sein für eine Zeit lang. Es ist aber etwas ganz anderes, eine Pille zu schlucken, die eine Erkältung bekämpft oder den Kopfschmerz lindert, als eine Substanz zu nehmen, deren Zweck es ist, das
Wesen zu verändern. Wie sich
diese Wirkung anfühlt, kann man nur nachvollziehen, wenn man sie aus eigener Erfahrung kennt.
Innerhalb der letzten 10 Jahre habe ich einen großen Teil der deutschen Psychiater kennengelernt, manche so nah, dass bis heute ein Duz-Verhältnis entstand, die meisten natürlich aus größerer Distanz. Mit einigen habe ich über diese Idee des vorgeschriebenen Selbstversuchs geredet. Sie fanden die Idee gut, wollten es aber nicht an sich selbst erproben. Tatsächlich und aus eigenem Antrieb gemacht hatten es gerade mal zwei von allen, mit denen ich geredet habe. Und bei denen war es danach tatsächlich so, dass sie weit zurückhaltender waren beim Ausfüllen des Rezeptblocks.
Einer dieser Ärzte sitzt mit in der sehr ernsten Gesprächsrunde, die in dem Film „Man muss nicht alles schlucken“ (2015, Kino und DVD) verewigt ist, wo es um das Thema „Erfahrungen mit Psychopharmaka“ geht. Ich war selbst Teil dieser Runde, habe aber nicht viel gesagt. Dass meine Klage über unnötig hohe Dosierungen es in den fertigen Film geschafft hat, nachdem man zwei Tage gedreht und sehr viel Material gesammelt hatte, freut mich jetzt noch, weil es für mich ein immer noch wichtiges Statement ist.