Moin Sumosimi,
mein Vater hat beide Weltkriege erlebt: den ersten als Säugling, den zweiten als junger Mann und Soldat.
Meine Mutter war 15 Jahre, als der 2. Weltkrieg begann.
Ich wurde zwei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs geboren.
Im Rückblick:
Da ich meine Mutter ab der Pubertät Zeit ihres Lebens ablehnte, habe ich die von ihr geerbten Anlagen und erlernten Verhaltensweisen bei mir selbst ebenfalls ablehnen müssen. Ich wollte doch unter keinen Umständen wie meine Mutter sein, nicht mal annähernd!
Erst nach dem Tod meiner Mutter erkannte ich in der Therapie, dass sie als Kind und Heranwachsende genauso arm dran
war wie ich. Sie hatte noch viel besch............. Lebensbedingungen (zur Sucht in der Familie auch noch den 2. Weltkrieg).
Ab diesem Punkt konnte ich sie nicht mehr hassen, sondern nur noch trauern, um uns - für uns - beide.
Sie hat für mich getan, was ihr möglich war. Sie hatte nichts zu geben, weil sie als Kind selbst leer ausgegangen war.
Ich hatte Gott sei Dank das Glück, liebevolle Ersatzmütter zu finden. Doch die entstandene Lücke läßt sich nicht mehr
schließen.
... und der Schmerz, dass es nicht meine eigene Mutter war, die meine emotionalen Bedürfnisse befriedigen konnte, ist groß.
Erst seit ich vor etwa 10 Jahren die Anteile meiner Mutter integrieren konnte, geht es mir wirklich gut.
Ich stehe heute dazu, dass ich ihr ähnlich bin, weiß jedoch: ich bin ich (und nicht meine Mutter).
Ohne die von meiner Mutter übernommenen rationalen, pragmatischen Eigenschaften und die Überlebenstrategien von
Mutter und Vater wäre ich nach den 4 Jahren in der Psychiatrie nicht wieder auf die Beine gekommen.
Ich verdanke meiner Mutter und meinem Vater also mehr als mein Leben.
... und ich bedaure sehr, ihnen das nicht mehr sagen und mich dafür bedanken zu können.
Etwa Mitte 30, nach einer Lebenskrise, habe ich mich daran gemacht, "mich freizuschaufeln".
Der Weg war lang und beschwerlich und so manches Mal habe ich bedauert, überhaupt damit angefangen zu haben.
Doch mit fast 70 kann ich nun erkennen und anerkennen was meine Mutter mir mitgegeben hat.
Ihr Pragmatismus, ihr Durchsetzungsvermögen und vieles mehr helfen mir dabei,
unbeirrt und zufrieden meinen eigenen Weg gehen zu können.
Liebe Sumi,
Du liegst also bei Deinen derzeitigen Bemühungen altersmäßig gut in der Zeit ;-)
Viele Grüße
Deborah
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Wer etwas will, sucht Wege.
Wer etwas nicht will, sucht Gründe.
Lerne erst laufen,
bevor du versuchst zu rennen.
("zeitzuleben", Ralf Senftleben)
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3-mal bearbeitet. Zuletzt am 08.01.17 06:07.