Hallo caglar,
ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstehe, was du mit "Kellermeldungen" meinst. Das ich auf den Rebound-Effekt hinweise, beim zu schnellen Runterdosieren oder plötzlichen Absetzen, dass dies dazu führen kann, dass man in eine Manie, Depression oder in eine Psychose fallen kann? Leider konnte ich es sowohl bei mir selbst erfahren, wie auch bei anderen beobachten.
Deshalb finde ich es besser, wenn man sich dieser Problematik bewusst wird, schon allein deswegen, um diesen Rebound-Effekt von einer wirklichen Krankheitsphase abgrenzen zu können und eben auch, um selbst Vorkehrungen zu treffen, was passieren soll, wenn ein Schub ausgelöst wird und ich selbst in dieser Phase nicht mehr in der Lage bin, klar zu entscheiden. Mache ich diese Überlegungen schon vorher, habe ich selbst es in der Hand, was passieren soll und wer ggf. für mich entscheiden sollte. Mit einer Behandlungsvereinbarung kann ich ggf. vor unschönen und traumatische Erlebnisse in einer Klinik vorsorgen. Gesetzt den Fall, dass die Klinik der Behandlungsvereinbarung einen hohen Stellenwert einräumt. Aber es braucht ja auch nicht der Schlimmste Fall eintreten, sondern ich merke durch meine Vorüberlegungen schon selbst, dass ggf. bei einem Reduktionsschritt, ich zu offen werde und ich Dinge zu sehr auf mich beziehe. In diesem Fall kann ich einen Schritt zurück gehen, nochmal wieder aufdosieren und den nächsten Reduktionsschritt etwas nach hinten verlagern und ggf. in noch kleineren Schritten vorgehen.
Ich stehe Reduktionswünschen neutral gegenüber, da ich selbst weiß, wieviel Nebenwirkungen Medikamente haben und wie diese das Leben auch belasten können. Zur Zeit lebe ich ohne Antidepressiva, da sie als Nebenwirkung meinen Schlaf erheblich gestört haben. Ich bin mir aber selbst meiner eigenen Verletztlichkeit bewusst, weiß um meine Phasenhaftigkeit, um meine Frühwarnsymptome und habe mein Umfeld ebenso darüber informiert. Wie lange ich es ohne Medis schaffe, weiß ich nicht, würde aber notfalls wieder dazu greifen, weil ich weiß, wie heftig meine Depressionen werden können und leider Suizidalität bei mir dazu gehört, ich spreche hier also von schwerne Schüben und nicht von leichten oder mittelgradigen Depressionsphasen.
Zu den Medikamenten an sich habe ich eine kritische aber keine verteufelnde Haltung. Viele Menschen kommen mit Medikamenten überhaupt erst in die Lage ihr Leben wieder zu ordnen und soetwas wie Lebensqualität aufzubauen. Diese Menschen haben schon zu viele heftige Phasen durchlebt, wo sie praktisch alles verloren haben und wenn sie mit Medikamenten da einen Weg finden, dann ist es ihr Weg. Andere brauchen weniger Medikamente oder nur Bedarfsmedikamente, weil sie ganz andere Ausprägungen oder Voraussetzungen haben. Was jemand für seinen eigenen Genesungsweg braucht, bestimmt derjenige selbst, aus seinen eigenen Erfahrungen, seinen eigenen Ressourcen und seinem ganz persönlichen eigenen Weg heraus.
Und wer es geschafft hat, einen guten Weg der Reduktion oder des Absetzens zu finden, da würde ich dennoch empfehlen, auf sich gut Acht zu geben, sich seiner Verletzlichkeit bewusst zu sein, sich gut selbst zu kennen und wenn es doch zu einer Phase kommen sollte, keine Angst zu haben, ggf. auf Medikamente zurück zu greifen, um das Schlimmste zu verhindern.
Um es kurz zu sagen, ich halte wenig davon Medikamente
pauschal völlig unkritisch in den Himmel zu loben, vor allem als die einzige mögliche Behandlungsform, noch sie
pauschal vollkommen zu verteufeln, denn dazu haben zu viele von ihnen schon profitiert und einige Menschen würde es vielleicht nicht mal mehr geben, hätten sie nicht eine Möglichkeit gefunden, eine für sie passende Medikation zu finden, die ihre Phasen zumindest abmildern können.
Viele Grüße Heike
PS: Aufklärung ist wichtig, damit der Betroffene selbständig zu einer eigenen Entscheidung finden kann, dazu gehört eben auch, die Risiken nicht außer acht zu lassen. Nur wenn ich weiß, worauf ich mich wirklich einlasse, kann ich wirklich eine gut informierte Entscheidung treffen.
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 29.06.18 22:36.