Eigentlich hast Du recht, wenn man die derzeitigen gesellschaftlichen Ereignisse als Momentaufnahme nimmt.
Im Kontext der letzten 30 Jahre ist diese Hysterie und Radikalität nur eine Konsequenz des bisherigen Verrsagens bzw. Nicht-Hinschauens. Die Temperaturproblematik im Zuge von Treibhausgasemissionen ist längstens öffentlich bekannt. Erste Hochrechnungen zur Temperaturentwicklung, die ich kenne, stammen schon aus den 90ziger Jahren und mussten nach und nach nach oben immer wieder korrigiert werden.
Das Klima ist kein Verhandlungspartner, mit dem man über Zeit und Ressourcen diskutieren kann. Das Klima bestimmt mittlerweile kompromisslos das zukünftig notwendige Verhalten der Menschen oder die notwendige Anpassung, wenn die Lebensqualität etwa gehalten werden soll.
Soziologisch betrachtet, stecken wir jetzt in einem Dilemma, denn radikale Einschnitte bedeuten zumindest in der westlichen Hemisphäre, den erworbenen Lebensstandard zurückzufahren. Wenn das Solidarprinzip greift, was ich hoffe, dann betrifft es vor allem die Mittelschicht, also mich zum Beispiel auch. Veränderungen erzeugen temporäre Verlierer. Im Momentum wird es viele Verlierer geben, aber viele haben vorher auch von der klimaschädlichen Technologie und auch von einer klimatechnisch zu hinterfragenden Globalisierung profitiert. Was war sinnvoll und welche Aufmachungen, Produktionstechniken oder Produkte sind zu hinterfragen.
Das Problem ist nur, dass uns der Klimawandel und die ersten Ausläufer meist noch nur peripher tangieren und sich ein entsprechend notwendiges Bewusstsein nur langsam ausbildet. Dies führt im Zuge des jetzt schon anderweitig stressigen Alltags zu einer Verdrängung bzw. Verschiebung der Problemlösung.
Die Argumentation, die anderen großen Nationen machen nichts und wir haben die sinnlosen Kosten, teile ich nur bedingt. Wenn man allein das Beispiel China nimmt, wo sich mittlerweile eine aufstrebende Mittelschicht einschließlich der gewünschten Ansprüche entwickelt, dann lässt sich eine (wiederkehrende) Dynamik mit einer leichten Zeitverschiebung erkennen. Wenn dann sind es Nationen wie Indonesien, Brasilien oder auch Räume wie Indochina, Westafrika, wo eine starke und stabile lenkende Mittelschicht so nicht existiert.
Bis 2010 sah ich das ganze noch moderat und hätte den heutigen Protest als Hype abgetan, gebe ich zu. Ich habe meine Meinung dann sukzessive geändert und sehe ich die teilweise vorhandene Radikalität als ein notwendiges Übel, damit überhaupt etwas passiert. Selbst die radikalsten, in der Realität kaum umsetzbaren Forderungen finde ich mittlerweile legitim...