Lieber Georg,
es ist mir nicht entgangen, dass du auch mich gemeint hast. Ich weiß, dass meine Beiträge meistens unnötig lang sind und ich oft abschweife, weil mir dann vielleicht noch dieses und jenes einfällt.
Ich finde es aber besser, manchmal einen privaten Ton beizubehalten, denn sonst könnte ich auch bei einer Infoline anrufen oder einfach Bücher lesen.
Du schreibst, der Sinn dieses Forums sei es, sich mehr mit allgemeinen Problemen auseinanderzusetzen. Das geht aber nur, wenn es intern keine Probleme gibt - die gab es und wird es immer wieder geben.
Auch dein Beitrag liest sich wie ein Vorwurf. Ein Vorwurf, der jetzt zu spät kommt und ein Vorwurf, der alleine da steht ohne einen anderen Beitrag von dir, in dem du erfüllst, was du einforderst. Ich habe während des ganzen Affentheaters der letzten Wochen trotzdem immer versucht, Leuten, die nicht daran beteiligt waren, sinnvolle Antworten zu geben.
Zu deiner Frage, welchen Einfluss die Gesellschaft auf unsere Krankheit hat, will ich eine Antwort versuchen:
Für mich sind die gesellschaftlichen Anforderungen eines der größten Probleme mit MD.
Den gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen oder mich permanent verteidigen zu müssen, weshalb ich dieses 'Spiel' nicht mitspielen will, bedeutet für mich Dauerstress und auch dauernde Kränkung.
Es hat schon in der Schule damit angefangen, wo man von früh bis spät irgendwelchen mehr oder gar nicht sinnvollen Regeln unterworfen wird, die einem auch niemand erklären kann und will - man soll sich einfach daran halten, nur weil andere Leute sich schon daran gewöhnt haben. Ich habe mich in der Schule leidenschaftlich gegen alle sinnlosen und ungerechten Regeln gewehrt und musste mich natürlich von allen dafür auslachen lassen. Natürlich habe ich besonders verbissen gekämpft, wenn ich manisch war. Aber der Spruch: 'Da kannst du doch sowieso nichts ausrichten, der Lehrer sitzt immer am längeren Hebel' hat mich auch in der Depression auf die Palme bringen können.
Heute komme ich mit der Gesellschaft besser klar - weil ich mir kaum noch Gedanken über ihre überzogenen Ansprüche an mich mache. Ich könnte austicken, wenn jemand anfangen möchte, mein Verhalten, meine Person mit den Normen und Maßstäben der Gesellschaft abzugleichen und dann noch meint, ich müsse mich fpr Abweichungen rechtfertigen. Denn das kommt mir so unzureichend und verfehlt vor, dass ich gar nicht weiß, was ich dazu sagen soll.
Irgendwann hab ich mir irgendwo eine Nische eingerichtet, in der ich mich ziemlich wohl fühle. Das geht aber mit einem nicht zu unterschätzenden Realitätsverlust, vielleicht auch mit einem Verweigern der Realität einher. Sobald ich jedoch auf die Gesellschaft angewiesen bin und ich mich deshalb natürlich mit ihr auseinandersetzen muss, geht der Stress wieder los. Trotzdem sehe ich mich nicht als Außnseiterin der Gesellschaft, aber mein Kontakt mit ihr beschränkt sich auf ein paar wenige Bereiche, in denen ich klar komme.
Rückblickend kann ich mit Sicherheit sagen, dass zu den Auslösern meiner harten cycling-Phasen immer der Stress gehörte, den ich durch die Anforderungen und den Druck der Gesellschaft empfand - und das wird ja immer noch schlimmer, je mehr man in die Krankheit kommt.
Viele Grüße
Her Majesty
Sumosimi