29. 12. 2020 00:56
Hallo Rene,


> Du sagst von Anfang an Du bist keine Therapeutin,
> ich verstehe.
>
> Wie stellst Du dich der Klientin/dem Klient vor?

Ich stelle mich mit meinem Namen vor und gebe an, dass ich Genesungsbegleiterin bin und frage nach, ob der Klient, die Klientin weiß, was das ist. Falls nicht, erkläre ich, dass ich selber betroffen, bzw. eine psychiatrische Diagnose bekommen habe und eine Qualifizierungsmaßnahme zur Genesungsbegleitung durchlaufen habe.

Möchte der Klient mehr wissen, werden seine Fragen der Situation gemäß beantwortet. Ich werde demjenigen aber nicht meine ganze Lebens- bzw. Leidensgeschichte auftischen, das würde denjenigen überfordern und hat auch nichts mit Genesungsbegleitung zu tun.

Es geht ja um den Klienten und was sein Anliegen an mich sind und was er von mir von Unterstützung erwartet.

Gerade die Erwartungshaltung von einem Klienten kann auch sehr groß sein, gerade wenn dieser sehr verzweifelt ist und nun wünscht, dass dort jemand ist, der seine Probleme löst. Da ist es dann wichtig zu sagen, dass man keine Therapeutin ist und dies meine Kompetenzen übersteigt.



> von dem "Wir" Wissen hab ich schon viel gelesen,
> scheint sehr nützlich zu sein.

Im Laufe des Kurses wirst du mit verschiedenen Reflektionsebenen konfrontiert. In der 1. Ebene wirst du eine Fragestellung oder ein Kontext mit deinen eigenen Erfahrungen reflektieren, also die Ich-Ebene.

Da ich nichts vorwegnehmen möchte, möchte ich es an einem anderen Beispiel deutlich machen. Zum Beispiel die Frage, wie war für dich die 1. Fahrstunde, als du deinen Führerschein machtest. Du überlegst dann, was für Gefühle du hattest, mit welchen Dingen du zum ersten Mal konfrontiert wurdest, wie dich das ein oder andere vielleicht auch überforderte und was du dabei gedacht hast.

In der 2. Ebene kommt die "Du-Ebene" dazu, du erzählst deine Erfahrung einem anderen Teilnehmer des Kurses, bzw. interviewt euch gegenseitig. Dabei werdet ihr vielleicht ähnliche Erfahrungen teilen oder vielleicht auch ganz unterschiedliche Erfahrung gemacht haben. Durch das Nachfragen des Anderen erfährst du evtl. sogar noch mehr über dich selbst, bzw. wird dir deine eigene Erfahrung noch bewusster. Aber ebenso übst du auch gleichzeitig das Zuhören und interessierte Nachfragen, wenn der Andere erzählt.

In der 3. Ebenen werdet ihr in einer Kleingruppe darüber reflektieren, was die 1. Fahrstunde für Fahranfänger bedeuten könnte. Nun werden verschiedene Erfahrungen gesammelt und auf ein Flipchart gebracht und über die Diskussion innerhalb der Gruppe wird evtl. ersichtlich, dass es vielfältige Erfahrungen gibt und was vielleicht alles in der 1. Fahrstunde passieren kann.

Das ist dann das sogenannte "Wir-Wissen", was deine eigenen Erfahrungen anreichert und ergänzt. Und wenn es gut läuft einem klar werden lässt, dass die eigene Erfahrung eben nur eine unter vielen sein kann und nicht alle die selben Erfahrungen gemacht haben. Es lässt die Bandbreite deutlich werden und hilft auch andere Perspektiven zu erkennen.



> P.s.: Ich wäre gern mal dein Klient nur um zu
> verstehen wie das so abläuft bei euch.

Ich habe kein standadisiertes Vorgehen. Ich lasse mich auf den Menschen ein, der vor mir sitzt und so ist ein Gesprächsablauf nie gleich. Da ich nicht nur Gespräche führe, sondern auch ggf. Unternehmungen mit den KlientInnen, ist es immer sehr individuell. Und genau das ist mir auch wichtig, dass ich kein "Programm" abspule, sondern mich einlasse auf den Menschen. Derjenige der vor mir sitzt, zeigt, wo es lang gehen soll. Und wenn dieser das selbst nicht weiß, können wir gemeinam auf die Suche gehen, wohin es gehen soll.

Viele Grüße Heike

------------------ Signatur --------------------------

Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.

"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 29.12.20 00:57.
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