Wie es ist, Christ zu sein
Wir machen ein Experiment.
Geh zum Hauptbahnhof oder in ein Schuhgeschäft.
Ein Schwimmbad geht auch oder der Wochenmarkt.
Wähle einen Ort, an dem andere Leute sind.
Such dir eine Person aus und stell dir vor:
Da steht Gott.
Sieh an, denkst du.
Sie hat eine Dauerwelle.
Er trägt einen Pullunder.
Er schaut gerade etwas mürrisch.
Es heißt, Gott kann man in allen Dingen finden.
Das kann ganz schön verstörend sein.
Wenn Gott überall ist, dann muss er auch im Gemüseverkäufer sein
und in diesem nervigen Kind mit seinem plärrenden Smartphone.
Ziemlich nah also...
..........
Mit Gott zu rechnen, ist ein Experiment.
Aber es hat nichts mit Mathe zu tun.
Die Gleichungen gehen anders.
Mit Gott rechnen heißt, zuallererst einmal so zu tun, als ob es ihn gibt.
Beweisen kann man das nicht.
Ein Gott, den man beweisen könnte, wäre kein Gott.
Gott ist ein Vielleicht.
Damit muss man leben können.
In diesem Vielleicht liegt alles, weil in diesem Vielleicht alles möglich ist.
Ich stelle mir also vor, Gott steht vor mir.
Sein Aussehen spielt keine Rolle.
Auch die Bibel verliert kein Wort darüber.
Gott steht vor mir und sagt: Ich liebe dich.
Wenn ich versuche, all die kitschigen Bilder, die ich in meinem Leben schon gesehen habe,
außen vor zu lassen, dann ist das doch ein ganz außerordentlicher Gedanke.
Ich glaube, es wäre ein ichveränderndes Spiel, sich diese schlichte Szene täglich vorzustellen.
Morgens nach dem Zähneputzen oder so.
(auszugsweise aus
Mut ist ... Kaffeetrinken mit der Angst von Susanne Niemeyer)
wiedergegeben mit dem Einverständnis der Autorin