Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

26. 04. 2021 19:26
Es ist ein uralter Thread, ich weiß. Trotzdem muss ich genau auf dieses Posting von PatientZero jetzt doch ins Forum antworten. Ich dachte, ich traue mich nur, das als PN zu schreiben. Aber ich möchte es jetzt doch im Forum haben.


Hallo PatientZero,

ich traue mich jetzt doch, fast im Forum, etwas zu Gedanken zu schreiben, die mich derzeit sehr beschäftigen. Ich möchte vorweg schicken, dass ich derzeit eher leicht depressiv bin. Du hast in dem Thread hier und speziell in diesem Posting geschrieben, dass Du in den 90ern diagnostiziert worden bist. Bei war es im Jahr 1987, ich war gerade 22 und hatte ein ziemlich beeindruckendes Wochenende hinter mir, das ich mit einem eigentlich ganz berechtigten Wutanfall über die Schlechtigkeit der Welt krönte. Meine Eltern waren ratlos. Als psychisch beschlagenster kam unser Dorfpastor kurz zu Besuch und fuhr die Situation für uns drei Überforderte gereimt runter. Er empfahl mir zudem, den Dorfarzt zu konsultieren und dieser schickte mich mit einer Überweisung zum Psychiater. Was stand drauf? Verdacht auf manisch-depressives Syndrom. Ich hatte dann 8 15-minütige Gespräche mit diesem Psychiater und er entließ mich schließlich mit der freundlichen Prognose, dass, wenn ich der Therapie mit Lithium nicht zustimmen würde, dann sei ich in 10 Jahren auf Sozialhilfe. Das erfüllte ich dann auch folgerichtig. Allerdings rappelte ich mich von dort auch wieder auf, kam doch noch zu einer Berufsausbildung, gründete eine Familie und ... sah ein, dass meine Sauferei und Familie und Job nicht zusammen passten. Ich hatte 12 Jahre ohne diesen Psychiater geschafft, hatte viel erlebt, viel Spaß gehabt, alles mögliche studiert und gejobbt - und auch immer übermäßiger gesoffen. Um da einen Cut zu machen, ging ich zurück zu diesem Psychiater, sagte, ich wolle nun doch dieses Lithium nehmen. Er bog das auf Carbamazepin um. Und das nehme nun seit gut 21 Jahren. Eine Erfogsgeschichte, könnte man meinen. Aber zum einen hilft Carbamazepin nicht gegen die Depression. Zum anderen bin ich mit zunehmendem Alter immer strenger mit mir geworden, was die Selbstüberwachung angeht. So kam es wohl, dass, als mein erstes Kind das Haus verließ, ich meinte, es vielleicht doch noch mal ganz vorsichtig mit Alkohol probieren zu können. Das war natürlich eine sehr dumme Idee, die mich auch jeweils komplett scheitern ließ. Letztes Jahr habe ich mich dann zum ersten Mal in meinem Leben in eine psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingewiesen. Denn da hatte "meine" Krankheit bisher noch nicht hingebracht. Das war sehr erniedrigend, aber ich war schnell (2 Wochen reichten) wieder klar im Kopf, was Experimente mit Alkohol angeht.
Warum nun diese lange Geschichte, diese alte Geschichte? Nun, zum einen hatte mir die Sauferei ein zusätzliches Medikament beschert - Quetiapin. Dieses habe ich seit einigen Wochen aber ausgeschlichen. Und nun bin ich mit meiner Psychiaterin No.3 (Psychiater 1 ist verstorben, No.2 ist weggezogen) daran, meine Phasenprophylaxe eventuell zu ändern. Bei den Recherchen zu den verschiedenen Möglichkeiten bin ich wohl einmal falsch abgebogen und landete bei dieser auch schon wieder alten ARTE-Reportage (Arte).
Das war nicht so gut. Denn manchmal bringt einen so etwas ja zum Nachdenken. Und da ich mich zwar an einiges von damals gut erinnere, hat das Lesen in einem alten Tagebuch doch noch einiges mehr aus der Zeit meiner Diagnose zutage gefördert. Kurzum - ich frage mich, ob ich damals mit 22 aufgrund ein paar dorf-unüblicher Aktionen eventuell vorschnell mit einer Diagnose versehen wurde, die mir dann aber doch wie ein Hund hinterher gelaufen ist. Und dass meine Psychiater No.2+3 sich vielleicht zu sehr auf das Bestehen einer einmal gestellten und dann auch behandelten Diagnose verlassen haben. No.2 hatte übrigens Zweifel an der Richtigkeit der alten Diagnose, hat sich aber von meiner Vorsicht und vermutlich auch seiner ärztlichen Sorgfalt leiten lassen und hat dann eben doch nicht mehr wirklich daran rütteln mögen. Er zog dann auch weg, wie gesagt. No.3 hatte nun also auch schon gleich zwei Vorgänger, die sie in Zweifel hätte ziehen müssen. Und meine No.1 galt zu Lebzeiten in unserer kleinen Stadt auch noch als sehr kompetent.
Tja, und nun komme ich mir in diesen Tagen einfach ziemlich dumm vor, denn auch mein gesamtes Umfeld ist ja eingeweiht in die Geschichte meiner unheilvollen Krankheit.
Egal, wie ich mich entscheide - und mir geht es gerade tatsächlich darum, noch mal ganz unvoreingenommen neu angeschaut zu werden - ich mache entweder damit einen großen Fehler. Oder damit, es einfach dabei zu belassen, dass ich diese Krankheit habe.
Tja, das ist die Geschichte.


Gruß B.



Als Antwort auf [www.bipolar-forum.de]



PatientZero schrieb:
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> Ob die Diagnose richtig ist, ist nicht einfach
> rauszufinden. Ich bin ja der Meinung, dass man da
> Eigenverantwortung übernehmen muss, und auch nein
> sagen können muss zu dem was Ärzte vermuten oder
> verschreiben. Niemand kennt dich so gut wie du
> selbst. Ein Arzt hingegen kann eine psychiatrische
> Diagnose nur anhand deiner eigenen vagen
> Beschreibungen von Situationen stellen, und da
> kann vieles falsch interpretiert werden, weil die
> Begriffe dem Patienten nicht geläufig oder
> generell schwammig sind.
>
> Eigentlich ist es ja so, dass vor einer
> psychiatrischen Diagnose mögliche körperliche
> Ursachen ausgeschlossen werden sollten.
> Ich wurde ja schon in den 90ern Diagnostiziert, da
> gab es vieles noch nicht. So habe ich erst vor ein
> paar Monaten erstmals ein MRT gehabt.
> Um Schilddrüsenuntersuchungen musste ich mich
> selbst kümmern.
> Hormonspiegel muss ich bald mal beim
> Endokrinologen machen lassen, wenn ich mich wieder
> für sowas aufraffen kann.
>
> Es gibt hier
> [url=http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft
> /zertifizierte_fortbildung/article/632224/psychisc
> hen-stoerungen-immer-organische-ursachen-ausschlie
> ssen.html]einen Artikel[/url] mit Untersuchungen
> die eigentlich gemacht werden müssten.
>
> Ich hab immer das Gefühl, dass ich mich selbst
> informieren und darum kümmern muss, dass
> körperliche Ursachen ausgeschlossen werden.
>
> Wie war das bei euch so?
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 3454 02. 09. 2014 12:53

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

Heike 763 02. 09. 2014 13:05

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 687 02. 09. 2014 13:14

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

RichardII 697 02. 09. 2014 13:25

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 810 02. 09. 2014 13:31

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

Heike 645 02. 09. 2014 13:42

Spezialambulanzen

Heike 558 02. 09. 2014 13:48

Re: Spezialambulanzen

mizzi 507 02. 09. 2014 14:08

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

tschitta 740 02. 09. 2014 13:54

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 608 02. 09. 2014 14:11

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

dry 588 02. 09. 2014 16:05

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 513 02. 09. 2014 20:29

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

PatientZero 632 02. 09. 2014 19:32

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

mizzi 508 02. 09. 2014 20:33

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

Bohumil 613 26. 04. 2021 19:26

Re: Ich stell gerade alles in Frage... Fehldiagnose?

Bohumil 709 26. 04. 2021 19:58

Armutszeugnis für den Arzt

lithiumfreak 757 02. 09. 2014 19:46

Re: Armutszeugnis für den Arzt

mizzi 712 02. 09. 2014 20:47

Re: Armutszeugnis für den Arzt

Bipolar1994 516 12. 09. 2014 17:07



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