Eine Krankheit für die Kunst?

Sumosimi
16. 06. 2002 22:13
Guten Tag!
Ich gehe immer davon aus, dass mdler kreativere Menschen sind als andere. Ich würde mich gerne mit euch austauschen, welche Erfahrungen ihr gemacht habt, vielleicht stimmt es ja auch gar nicht, denn bisher hat sich niemand als 'Schaffender' zu erkennen gegeben.

Ich (Schriftstellerin) schreibe zwar schon mein Leben lang, bin aber vielleicht auch schon mein Leben lang md. Manchmal habe ich das Gefühl, beim Schreiben auf md angewiesen zu sein, dass sich meine Arbeit untrennbar mit der Krankheit verstrickt hat.
Beim Schreiben versuche ich auszudrücken, wie ich die Welt wahrnehme und was ich ihr als Reaktion antworten kann -wie jeder andere Künstler wohl auch. Natürlich finde ich es viel interessanter, mich mit meiner verschrobenen, gefilterten Wahrnehmung der Welt zu befassen, wie sie in den Phasen stattfindet, als mit dem alltäglichen Geschehen in ruhigeren Zeiten. Kunst, insbesondere die Literatur, beschäftigt sich ja eher mit den Defiziten als mit den Dingen, die sowieso in Ordnung sind.
Ich frage mich, ob ich deshalb überhaupt erst das Schreiben angefangen habe (und zwar ganz jung schon), als Versuch, den Differenzen zwischen meiner Wahrnehmung und der allgemeingültigen Realität in irgendeiner Weise beizukommen, sie möglichst auszugleichen. Diese Differenzen lassen mich auch mit Sprache experimentieren, da ich nie das Gefühl hatte, dass die Sprache, die ich spreche, die andere sprechen, nie ausreicht, das zu sagen, was ich will.
Wenn ich längere Zeit nicht schreiben kann, macht mich das mitunter sehr unleidlich und ich falle meiner Umwelt mehr zur Last als in Depression oder Manie - da verstehe ich dann wirklich keinen Spaß mehr.

Andere Schreibende die ich kenne, haben Drogen-/Alkoholprobleme und sind nach einiger Zeit bedröhnten Schreibens davon überzeugt, dass es ohne nicht mehr geht. Koks ist hierbei wohl die gefährlichste Droge.
Ich stelle mich seit einiger Zeit selbst unter den Verdacht, mein Schreiben von md abhängig zu machen, d.h. einfach auf die Manie zu warten. Vielleicht ist es aber nur so, dass die Arbeit besser flutscht und von der Hand geht, wenn man manisch ist - das Talent, das Potential kann die Manie ja nicht vermehren. In der Depression kann ich nicht wirklich schreiben, es sei denn, sie hält sich noch in Grenzen und ich arbeite gerade an einem langfristigen Projekt; dann kann ich selbst in der Depression noch ziemlich produktiv sein, empfinde es dann aber ganz und gar nicht so, sondern gräme mich auch dann noch, wenn ich zehn Seiten am Tag schreibe. In der Depression ein neues Projekt anzufangen , etwas auszuprobieren, zu experimentieren, ist undenkbar. Dafür hab ich in der Manie viele kleine Sachen angefangen und teilweise auch zuende geführt, die zwar alle sehr hübsch sind, aber nirgendwo unterzubringen. (Das ist aber glaube ich ein Problem der jungen Autorengeneration, dass man immer gleich an die Verwertbarleit denkt, will ich mir abgewöhnen, man muss ja auch üben.)
Betrunken oder bekifft hab ich noch nie was vernünftiges geschrieben, es hat mich immer nur tierisch genervt, wenn ich mich so oft vertippt habe, auf Pilzen nur einen einzigen Satz.
Meine einzige Droge beim Schreiben ist Kaffee. Es würde mich auch nicht wundern, wenn der Zustand, in den ich letztes Jahr geraten war, durch Kaffee ausgelöst wurde. ich habe in einem knappen dreiviertel Jahr fast 1000 Seiten geschrieben - trotzdem ich mindestens die Hälfte der Zeit schwer depressiv war.
Einem Kommilitonen, der mich fragte, woher ich die Sicherheit beim Schreiben nehme, antwortete ich: Wenn ich bei einem Buch allmählich oder auch plötzlich merken würde, dass ich wahnsinnig werden muss, um es zu Ende zu schreiben, dann würde ich halt wahnsinnig werden!
Das klingt sehr pathetisch und der Kommilitone konnte es auch nicht verstehen, aber ich empfinde für nichts und niemanden eine stärkere Leidenschaft als für das Schreiben, deshalb komm ich mir nicht blöd vor, das so drastisch auszudrücken.

Ich würde mich gerne mit jemandem darüber austauschen, der selbst auch md hat und sich als Künstler begreift, vielleicht auch als Künstler arbeitet und davon einigermaßen lebt. Wie geht es euch mit den (Schaffens-)Phasen? Wie groß ist der Einfluss der Krankheit auf eure Arbeit? Wie überwindet ihr die Existenzängste in der Depression? Wie groß ist euer Neid auf Kollegen, spielt das bei euch eine große Rolle (habe da selber eine schlimme (Charakter-)schwäche)? Wie gut oder schlecht könnt ihr Arbeiten der Kollegen anerkennen? Und noch mehr Fragen hält für euch bereit mit lieben Grüßen

Her Majesty
Sumosimi
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Sumosimi 502 16. 06. 2002 22:13

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Hirnsuppenalarm.

Hannibal Lecter 140 02. 07. 2002 23:31

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Hannibal Lecter 182 02. 07. 2002 23:41



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