12. 03. 2018 12:11
Hallo Martha,

Ich bin zwar Bipolar II (also nur Hypomanien und keine richtigen Manien) aber unser "Leidensweg" ist ja, wie wohl bei vielen, ähnlich. Ich kann dir nur aus meinen Erfahrungen berichten und auch wie ich es überwunden habe. Klar hab ich immer wieder Rückfälle aber z.B. diese Existenzängste hatte ich nie wieder.

Zunächst zur Arbeit: Nicht nur dir, sondern auch "normalen" macht das zu schaffen. Der Leistungsdruck ist meist zu hoch, aber, so interpretiere ich deine Beschreibung, ist bzw. war es genauso bei mir:

Vorstellungen in der Arbeit könnte ich versagen, oder irgendwas schlimmes könnte passieren machten mich in Phasen wahnsinnig. Es kam niemals zu Situationen die ich nicht lösten/überwinden/durchstehen konnte und wie bei dir auch, waren meine Chefs immer höchst zufrieden mit mir. Intern wurde ich Jahrelang als Mitarbeiter des Jahres benannt. Mittlerweile weiß ich, dass ich dann zum Workaholic mutiert bin denn durch das viele Lob und die gut gemachte Arbeit konnte ich mein niedriges Selbstbewusstsein aufbauen. Ich bekam also regelmäßig meine Streicheleinhaten.

Es kam aber, wie es kommen musste: Durchgebrannt. 50 - 60 Stundenwoche und dadurch, dass ich so "gut" war wurde natürlich immer mehr von mir verlangt. Ich weiß nicht mehr wie ich das 8 Jahre so durchhalten könnte.

Du musst dir vorstellen, dass ich nicht nur erfolgreich war, sondern sehr erfolgreich. Mit 23 Abteilungsleiter für ein 10 Köpfiges Team etc. etc. Gehalt Astronomisch und wie bei dir in der Manie kaufte ich mir endlos Zeug, wohl in dem Glauben, dass ich mir als Ausgleich was "gönnen" sollte. Wie gesagt, ich stand da da. Materiell fehlte es an nichts und ich brach zusammen und kam dann in die Klinik.

Meine Frage deshalb: Hilft es dir wirklich, wenn du dir was kaufst um den Stress los zu werden oder glaubst du nur, dass es dir hilft? Falls ersteres: Fühlst du dich dann auch wirklich erleichtert und wenn ja: Wie lange hält das an?

Hartz IV bzw. Frühverentung

Nachdem mein Leben schlussendlich das zweite Mal, aufgrund der Bipolarität in Trümmern lag und damit "gescheitert", schlug auch meine Therapeutin und die Ärtzte in der Klinik dann Frühverentung vor. Daran hatte ich noch nie gedacht und lehnte es zunächst ab aber nach einiger Zeit, kam ein Gefühl, dass damit "scheinbar" alle Probleme gelöst wären.

Aufgrund meiner Finanziellen Reserven konnte ich es mir aber leisten, ein Jahr Pause zu machen, danach wollte ich entscheiden ob ich in Frührente gehe.
Es hört sich toll an: Nie wieder arbeiten, keine Zwänge, nichts. Würde sagen das erste halbe Jahr war es echt erholsam, aber zwei Dinge stellten sich dann einfach heraus:

1. Der Mensch braucht eine Aufgabe d.h. etwas zu tun bzw. auch das Gefühl "gebraucht" zu werden.
2. Was macht man die ganze Zeit? Irgendwann ist jedes Buch gelesen, der Garten gemäht, das Haus zu tode geputzt und die Wäsche bleich vom vielen Waschen. Freunde drumherum arbeiten in der Regel die ganze Zeit und slebst hat man nicht das Geld jeden Tag wohin zu fahren und das zu tun, was einen Spaß macht.

Der Finanzielle Ruin
Oh ja, das kenne ich zu gut. Hab mir schon sehr früh vorgestellt, dass ich mal unter der Brücke landen werde etc. etc. Ich hatte eine zeitlang finanzielle Probleme.
Geholfen hat eins oder vielleicht alle der Punkte:

- Dass ich aus den Finanziellen Problemen wieder rausgekommen bin.
- Ich mein Arbeitspensum fest auf 24 Stunden/Woche fest gelegt habe. 30 - 40 Stunden schaffe ich einfach nicht mehr.
- Meine Ansprüche extrem heruntergeschraubt habe
- Ich nie wieder Schulden machen werde (Solange das Konto gut gefüllt machen die Banken alles und sind sc... freundlich. Aber wehe du kommst in Schulden)

Feststellung:
Ich habe zwar so wenig (materielles) wie nie zu vor. Lebe zwar nicht auf dem absoluten Minimum aber Luxusgüter kann ich mir nicht mehr leisten. Das "einzige" was ich habe ist: Zeit.
Ironischerweise genau dass, was die meisten in unserem Jahrhundert nicht mehr haben.

Aber das wichtigste: Keinen Druck. Ich muss kein großes Auto mehr fahren, die ganze Welt bereisen und das neuerste Iphone haben. Natürlich sind die meisten Hoffnungslos überschuldet. Das sind natürlich nicht alles Bipolare aber es sieht doch so aus:

Wir werden zum Konsum verzogen. Wir sollen arbeiten bis wir umfallen damit wir uns immer das neuerste leisten können (vorallem Technik). Vielleicht ist es auch bei vielen so, dass sie ja mit ihrem sozialen Umfeld "mithalten" können d.h. schöne Autos, Urlaube etc. etc.
Die Läden machen es auch einfach mit 0% finanzierungen etc. etc. Es wird geweckt, dass du das und das brauchst um wer zu sein.
Zumindest hier bei uns in Bayern, herrscht auch ein unheimlicher Bauboom. Bedingt durch die niedrigen Zinsen. Daher nimmt jeder hundertausende von Euros auf und zahlt diesen ab. Das zählt natürlich auch zu der Verschuldung.

Dein Sohn
zunächst mal die Frage: Wie alt ist denn?
Ich denke, in den ersten 1-2 Jahren ist es völlig normal dass man sich übermäßig anstrengt. Man muss sich ja auch erstmal belohnen und sich den ein oder anderen Traum erfüllen, den man Jahre vorher auch hatte. Wenn sein Belohnungssystem funktioniert und es ihn glücklich macht, ist das, denke ich auch in Ordnung. Es ist nur die Frage, ob er wirklich weiß, dass er arbeitet um zu leben und nicht andersrum.
Da kommt dann dein Verhältnis zu ihm infrage, ob ihr offen und ehrlich darüber reden könnt d.h. du ihm zum Beispiel sagen kannst: Ich mache mir Sorgen, dass das bei dir auch mal passieren kann wenn du es übertreibst. Denn wenn man mal in dieses Loch fällt (Neudeutsch: Burnout) dann kommt man unter Umständen sein Leben lang nicht mehr darüber hinaus.

Auch das du dir Vorwürfe machst, dass du ihm das vererbt haben könntest, verstehe ich. Aber gleichzeitig muss ich sagen, das dass Unsinn ist: Ich kenne leider einige, die "Krebs" vererbt bekommen haben oder das "Sucht-Gen" Alkoholismus, Drogenkonsum etc. Kinder zu bekommen ist immer ein Risiko. Ob jetzt Psychisch krank oder nicht. Sogar Umwelteinflüsse während der Schwangerschaft können dafür sorgen, dass er körperlich oder geistig behindert auf die Welt kommt.

Zum Schluss
So habe ich bisher mein Leben irgendwie auf die Reihe bekommen. Einzige die Erfahrungen, das verarbeiten und das Entwickeln von Strategie und der Hilfe von Ärzten, Freunden und Familie haben es mir ermöglicht, trotz meiner sehr schweren Diagnose und dunklen "Prognosen" ein Leben zu führen, wo ich denke, dass andere nur Träumen können. Daran versuche ich mich fest zu halten, denn das ist schon eine Wahnsinns Leistung auf die ich stolz sein kann und auch darf. Ich kenne natürlich nicht deine Finanzielle Situation und dein ganzen Umfeld noch ob man zu diesen Kaufräuschen durch die Manie gezwungen wird und ob du jemanden an deiner Seite hast, der das früh erkennst und dich bremst.

Aber vielleicht hilft dir die ein oder andere Erfahrung aus meinem Leben. Denn wenn ich es schaffe, mit dieser Krankheit zu leben, dann kannst du das mit Sicherheit auch.

Alles gute & liebe.
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Ängste

martha2 1006 11. 03. 2018 10:36

Re: Ängste

nebulos 498 11. 03. 2018 11:29

Konsum

martha2 443 12. 03. 2018 10:39

Re: Konsum

nebulos 536 12. 03. 2018 19:09

Re: Ängste

Cosmo81 483 12. 03. 2018 12:11



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