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Annika
Wenn jemand in einer Manie ist, wird er ja medikamentös "weggeschossen" damit der Betroffene runter fährt. Das ist für mich nachvollziehbar. Dauert leider oft lange und hat einige Nebenwirkungen.
Ist dir klar Annika, dass ein künstliches Koma eine intensivmedizinische Behandlung darstellt,
die nur auf Intensivstationen durchgeführt werden kann, weil man den Patienten künstlich beatmen muss
und alle lebenswichtigen Organe ständig überwacht werden müssen?
Und du denkst das läuft so ab weil das weniger Nebenwirkungen hat? Und ein geringeres Risiko?
Das glaube ich nicht.
Und wenn der Patient das nicht will? Er müsste einwilligen, weil auch ein Maniker ein Mensch und kein Tier ist, das man mit einem Betäubungsgewehr abschießen darf.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass da ein Einziger in der akuten Situation einwilligt. Damit hätte sich deine
Frage dann eigentlich schon erledigt.
Heute Abend hab ich noch überlegt, ob ich einen Baum eröffnen soll, über diesen schrecklichen Sommer, mit dieser heftigen Manie, was er uns alle "gekostet" hat. Über Verluste und darüber was wir daraus gelernt haben.
Ich kann deshalb ganz gut verstehen, dass du sie stellst diese Frage. Ich hab sie mir so, oder so ähnlich gestellt, in diesen furchtbaren Sommer.
Was man besser, humaner machen kann, wenn eine Manie total eskaliert und der Kranke kaum noch zu bändigen ist.
Meinem Sohn "mussten" sie in der Klinik, mehrere Tage lang, alle paar Stunden überwältigen und fixieren, wieder und wieder und wieder.
Danach wurde er tagelang eingesperrt in seinem Zimmer. Er konnte also nicht rauchen oder sich auf der Station frei bewegen, außer er war "brav", sprich kooperativ, was z.B. die Einnahme von Medikamenten betrifft. Dann durfte er alle paar Stunden mal kurz raus. Für einen Maniker die Hölle, stell ich mir vor.
Für ihn wichtig, weil das einzige Ventil, für mich Kontakt, Kontrolle und Qual zugleich, war, dass sie ihn nie ohne Telefon gelassen haben.
Am tiefsten Tiefpunkt waren das Telefon und eine Matratze die einzigen Gegenstände im Zimmer.
Wurde durch diese "Behandlung" schlicht sein Wille gebrochen? Oder haben die Konsequenzen die sie ihm angekündigt und dann auch durchgeführt haben, ein Stück weit zur Einsicht geführt? Ich weiß es wirklich nicht.
Es war das reine Chaos. Und im Nachhinein wundert mich nicht, dass ich Stunden und Tage hatte, an denen ich mir gewünscht und mich gefragt habe, ob sie ihn (und mich am liebsten gleich mit), nicht besser mit irgendwas niederspritzen, was ihn ein paar Stunden schlafen und innehalten lässt, damit er sich nicht noch weiter selber schadet bzw. ihm geschadet werden muss.
Es hat mich fast zerrissen, dieses Wissen, dass sie ihn wieder fixieren, dass er wieder ausgerastet ist.
Und doch hätte ich ihn nicht auf einer Intensivstation, an Maschinen angeschlossen und ins künstliche Koma versetzt sehen wollen. Das kann nicht die Lösung sein.
Denn letztlich war er es selber, der einer Depot-Spritze Neuroleptika zugestimmt hat und der die Behandler darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Benzos bei ihm paradox wirken und ihn nicht beruhigen, sondern das Gegenteil bewirken.
Wäre ihm komatös schlafend nie gelungen.
Das Ganze war für alle Beteiligten sehr schmerzhaft und anstrengend.
Und trotzdem denke ich nicht, dass eine (wenn auch noch so heftige) Manie ein künstliches Koma rechtfertigt.
Wie sollte man denn da feststellen, ob die Manie vorbei oder am Abklingen ist? Sicherheitshalber noch länger narkotisiert lassen?
Zuballern, runter holen, ja das kann schon mal nötig sein und kann auf einer psychiatrischen Station auch geleistet werden.
Ich denke, erfahrene Psychiatriepfleger sind ganz gut im Einschätzen ihrer Patienten und beobachten sehr genau wo der Patient gerade steht. Das ist ihr Beruf und das können sie nur wenn der Patient "anwesend" ist.
Ins Koma versetzen, wegen einer (nicht lebensgefährlichen) Manie, kommt mir so vor, wie wenn man sagt: "Wäähhh natürliche Geburt, ist ja furchtbar, schwer und schmerzhaft, warum soll sich das jemand antun, das Geschrei, die Schmerzen und der Schleim, iiihhh, nö, wir entbinden in Zukunft alle Kinder geplant per Kaiserschnitt."
Es gibt Dinge die sind schlimm,womöglich schrecklich und schwer, aber sie haben trotzdem einen Grund, eine Berechtigung und manchmal sogar nicht mal das, aber man muss trotzdem durch.
Und ich finde man darf das nicht einfach "ausschalten", sondern man sollte dafür kämpfen, dass die Bedingungen und das "Drumherum" verbessert werden, damit man das humaner durchstehen kann.
LG kinswoman
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Wenn alle Klügeren nachgeben, wird die Welt von den Dummen regiert…
Marie von Ebner-Eschenbach