Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

25. 08. 2017 09:47
Hallo Felsinderbrandung,
ich sehe das so - es geht immer darum, was DU willst.
Du liebst ihn nicht mehr und willst ihn verlassen? Tu das.
Du magst ihn noch? Du willst die Beziehung nicht aufgeben? Aber du hast auch "Mitleid"?
Mitleid ist das Letzte, was dein Mann braucht. Mitleid hat was von Überlegenheit und Herablassung.
Mitgefühl hingegen ist OK.
Du hättest ihn jederzeit verlassen können. Hast du nicht. Jetzt, wo dein Mann sich in Behandlung begibt und reflektieren kann, denkst du darüber nach. Jetzt ist der Punkt, an dem die Verletzungen genug sein sollen.
Klingt ein bisschen gemein, wenn ich das SO sage, oder?
Egal welche Beziehung, Verletzungen in einer Beziehung sind normal. Das ist ein weitverbreitetes Mißverständnis, dass die nicht passieren dürfen. In jeder Beziehung. Der eine sagt was, der andere fühlt sich verletzt. Je emotionaler eine Beziehung ist, desto eher kommt das vor, weil die Partner ihre Schutzwälle fallen lassen und dann eben verletzlich sind. Missverständnisse sind der Hauptgrund für solche Verletzungen und in den seltensten Fällen sind die Verletzungen dabei gewollt. Es sei denn, es ist eine sehr zerrüttete oder sehr spezielle Beziehung...

Ich beschreibe das mal von der anderen Seite, aus langjährigen Beziehungen, in denen ich die ganz überwiegende Zeit undiagnostiziert war. Der Partner ist die emotionalste Beziehung, zumindest für Männer (bei Frauen rückt das Kind auf Nummer 1, eigentlich immer). Emotionen und Affekte ist das, was in der bipolarem Störung gestört ist. Die Äußerungen und das Verhalten des Partners sind diejenigen, die am Tiefsten durchdringen. Man versucht, mit dem Partner mitzuschwingen, freut sich, wenn er sich freut, wird traurig, wenn er traurig ist, und versucht, zu trösten. Wenn er überreagiert, versucht man, ihn zu besänftigen.
Und da fangen die Probleme an. Das mit dem trösten und besänftigen kann man getrost vergessen.
Zumindest wird es nicht den Erfolg haben, den es bei einem nichtbipolaren Partner hätte.
Und dann geht es los: Warum LÄSST er sich nicht besänftigen oder trösten? Warum zieht er sich zurück?
Kann er nicht einmal wie normale Menschen reagieren? Warum tut er mir das an? Warum wird er wütend? Ich schäme mich für sein Verhalten, die zu großen Gesten und das Überschwängliche, wenn es in Gesellschaft geht, das Jämmerliche, für das es doch gar keinen Grund gibt, das Zurückziehen, obwohl ich doch gar nichts falsch gemacht habe.
Tja, wenn man keine Diagnose hat, aber bipolar ist, dann weiss man ja selbst nicht, was mit einem los ist. Das Erleben ist ein anderes, als deines. In Manie oder Hypomanie ist die rosarote Brille dauernd auf, man kann alles, will alles, liebt alles und will alles tun. Und die anderen verstehen das nicht. Zumindest ab einem gewissen Punkt nicht. Wollen einen bremsen, das Gute aufhalten. Warum?
Dann geht es irgendwann bergab. Sehen die anderen gar nicht, was für eine schlechte Welt das ist? Das sich gar nichts lohnt? Dass man am Besten die Tür zumachen sollte, die Vorhänge vorziehen, ins Bett gehen, und am besten nie mehr aufwachen? Warum verstehen die das nicht? Ich kann auch gar nicht mehr aufstehen? Warum verlangen die das, können die nicht sehen, wie schlecht es mir geht?
Und vor allem - warum versteht nicht einmal mein Partner mich? Immer nur manchmal, und dann wieder nicht?
Und warum bleibt er? Ich meine, ich will ja, dass er bleibt. Die anderen verstehen mich ja noch weniger.
Ich kann das mitleidige Gesicht nicht mehr sehen, manchmal ist es auch nur verständnislos oder aber verächtlich, kurz, verwirrt, und manchmal sogar sehe ich die Angst vor mir, als wäre ich ein unberechenbares Tier. Gib mir Halt.
Warum versteht nicht einmal sie, wie ich bin?

So in etwa.
Mehr Missverständnisse sind kaum möglich, als wenn der Partner eben nicht so offensichtlich verrückt ist, man versucht, hinterherzukommen, wo man nicht hinterherkommen kann. Und es immer wieder herzliche Momente gibt, wenn er gut drauf ist, die ganz besonders sein können. Oder er einen überrascht. Es ist ja schon nie langweilig, es bewegt sich immer was.

Ich bin mit einem bipolaren Vater aufgewachsen, ich bin bipolar, habe fast 25 Jahre Partnerbeziehungen gehabt, und war erst 19 Jahre nach meiner ersten Manie diagnostiziert.
Ich verstehe schon, was da bei dir passiert ist, wie gesagt, ich konnte da als Kind schon zugucken.
Gib ihm keine Schuld daran, wie sich die Beziehung entwickelt hat. Auch wenn er krank ist, bestimmen beide, wo es am Ende lang geht. Immer. Dass du daran gelitten hast, ist nicht seine "Schuld". Warum er sich nie entschuldigen konnte, nun, vielleicht verstehst du das, wenn du mal vom Schuldbegriff wegkommst. Für ihn gab es vielleicht auch gar keinen Grund, sich zu entschuldigen. Wenn man nur wenig Wahlmöglichkeiten hat, ist das weniger eine Frage von Schuld, als von Tragik. Wenn man sich nicht anders verhalten kann, als man es tut, ist man dann schuld daran? Tragik ist, wenn es schlimm ist, aber keiner ist schuld. Seine Krankheit ist nicht seine Schuld. Deine auch nicht.
Du musst für dich entscheiden. Willst du sehen, ob sich was verändert, nun, da auch eine ernsthafte Chance dazu besteht? Oder ziehst du genau in dieser Situation die Konsequenz, die du vielleicht viel früher hättest ziehen sollen, aber das vielleicht nicht konntest, weil du so involviert warst, dich nicht getraut hast, usw.? Seine Wechselhaftigkeit kennst du ja, aber du hast immer gehofft, dass sich das mal ändert? Möglicherweise besteht ja jetzt erst die Möglichkeit dazu? Was ist, wenn du mit einer veränderten Situation dann erst recht nicht klarkommst, wenn er erstmal monatelang auf Medikamente eingestellt wird, Energie verliert oder gewinnt, ausgeglichener wird?
Und wenn du mal ganz, ganz ehrlich zu dir selbst bist - ist es vielleicht auch ungewohnt, wenn man irgendwann nicht mehr die tapfere Ehefrau und Mutter ist, die alles aushält, "against all odds", und den schwierigen Mann und ihre Beziehung zu ihm gegen die Welt verteidigt? Die zwar oft Grund hat, sich zu beklagen, aber an das Gute in ihrem Mann glaubt, und unglaublich loyal ist?
Wenn man sehr gemein ist, kann man das auch Opferhaltung nennen. Und ich weiss - das ist in so einer Familiensituation nicht selten, sondern eher der Normalfall. Gegen die geballten Emotionen, die einem der andere entgegenschleudern kann, kann man als gesunder Mensch nicht viel entgegensetzen, AUSSER sich zurückzuziehen, oder sogar die Beziehung zu beenden. Und wenn man das eigentlich gar nicht will, was macht man da? Ertragen? Das Gute mitnehmen, ansonsten die Zähne zusammenbeissen und hoffen?

Ihr seid schon lange zusammen. Vielleicht wartest du noch soweit ab, ob sich nicht vielleicht was zum Guten ändert? Sich das hoffen am Ende vielleicht doch noch lohnt?
Es kann natürlich auch sein, dass gerade an diesem Punkt deine Batterien eben leer sind, die Liebe weg, und gar nichts mehr geht. Und du nur eine Entscheidung gegen die Fortführung der Beziehung triffst, die vielleicht schon lange innerlich getroffen ist?

Ich würde nur raten, nichts zu übereilen, und sich Zeit zu nehmen, sich zu informieren, die Vergangenheit mit dem, was du jetzt weisst, neu zu durchleuchten, und erst dann eine Entscheidung zu treffen. Nach all den Jahren könnte sich das lohnen. Und dann hast du vielleicht auch mehr Klarheit und bist nicht so hin- und hergerissen.

Ich wünsche dir alles Gute, und dass du das Richtige für dich tust.
Liebe Grüße,
M.
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Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

Fräulein Felsinderbrandung 1698 21. 08. 2017 01:42

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

Feardrop 770 21. 08. 2017 04:42

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

Ceily 601 24. 08. 2017 09:02

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A20213 712 21. 08. 2017 05:43

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tschitta 597 21. 08. 2017 09:04

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Aradia 687 21. 08. 2017 10:37

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

chihuahua83 587 22. 08. 2017 12:42

Re: @ alle, die ach so viel wissen

Zora 713 22. 08. 2017 13:25

Re: @ alle, die ach so viel wissen

chihuahua83 537 23. 08. 2017 09:42

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Ceily 592 24. 08. 2017 08:57

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

chihuahua83 528 24. 08. 2017 10:12

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zyklothym 822 25. 08. 2017 09:47

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

A20213 547 25. 08. 2017 16:28

Re: Trennen oder Bleiben? Die große Frage einer Angehörigen

Josie 508 31. 08. 2017 10:07



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