Re: Brauche euren Rat bitte

18. 09. 2016 06:02
Hallo Delia,
das klingt erstmal nicht so gut. Dass er die Medikamente nimmt, und Psychotherapie macht, bedeutet zumindest, dass es ihm sehr wohl mit seiner Behandlung ernst ist und er zumindest so gesund wie möglich sein möchte.
Die Medikamente klingen für mich etwas ungewöhnlich, 2 Antidepressiva und Gabapentin, aber wir wissen ja auch nicht, was er alles ausprobiert hat, bisher.
Möglicherweise ist er ja länger krank als angenommen. Die vorherige Alkoholsucht könnte ein Hinweis auf unbehandelte "selbstmedikamentierte" Bipolare Störung sein, auch wenn da eben noch keine Diagnose da war. War er denn früher anders? Gibt es vielleicht einen Umstand, der da eine Veränderung gebracht hat, und womit sein heutiges Verhalten erklärbar wird?
Du schreibst, er arbeitet noch eingeschränkt. Wenn Medikamente nicht besonders gut oder eher gesagt mehr schlecht als recht helfen, dann kann das sehr anstrengend sein, sich in der Arbeitszeit ständig willentlich selbstregulieren zu müssen, damit man das überhaupt hinbekommt. Abends ist es dann sehr gut möglich, dass die Luft raus ist, er so sein können möchte, wie er ist, er sich erholen *muss*.
Leider ist es so, dass es keine Medikation gibt, die jedem hilft. Es ist im Endeffekt ein rumprobieren, bis man bei einer Medikation bleibt, von der man zumindest annimmt, dass sie mehr nützt als schadet.
Nichtsdestotrotz ist Medikation der Schlüssel zu den großen Veränderungen, Psychotherapie eher die Hilfe für die Lebensprobleme, die man durch das Leben mit bipolarer Störung hat.
Ich würde ja gerne was sehr Positives schreiben, geht aber nicht so recht. Leider sind die Erfolgsquoten einzelner Medikamente nicht sonderlich hoch bei bipolarer Störung, Lithium hat mit 30% schon die besten Erfolge, und es kommt auch nicht für jeden in Frage. Wie gesagt - es kann eine lange Odyssee sein, bis man eine zufriedenstellende Medikation hat, eine sehr lange. Man muss die Medis einschleichen, gucken ob und wie sie wirken, ob nach einer recht langen Anfangszeit die möglicherweise noch ausgeprägteren Nebenwirkungen wieder weggehen oder nicht, dann muss man gegebenenfalls wieder ausschleichen, oder die Medikation wird ergänzt mit weiteren Medikamenten, um die Restsymptome zu dämpfen. Solche Umstellungen sind nicht nur insgesamt recht langwierig, sondern auch sehr anstrengend und können sehr unangenehm bis manchmal auch unerträglich sein. Manchmal fehlt dann auch die Kraft, weiterzusuchen, oder aber man steht vor der Entscheidung, ob Medikamente und Reizarmut mit wirklich guter Symptomdämpfung ODER Arbeitsleben. Das ist leider auch gar nicht selten.
Das sind schwere Entscheidungen, die niemand dem Betroffenen abnehmen kann (und darf).
Und das kann sich ziehen, auch Jahre bis Jahrzehnte. Zudem können Medikamente ihre Wirkung verlieren, es kann gesundheitliche Probleme geben, die verhindern, dass man helfende Medikamente weiternehmen kann, usw.usf..
Ich kenne das mit dem Arbeiten und danach völlig abkapseln, am Ende sein, auch mal regelrecht zusammenbrechen, weil einen nach Feierabend die Depression direkt hinter der Haustür wie ein schwarzer Hammer umhaut, oderr wenn man alle Mühe hat, seine Nervosität zu unterdrücken und aufpassen muss, das man nicht manisch oder im Mischzustand irgendwelche Dinge macht, die einem gerade toll erscheinen, aber später weitreichende (negative) Auswirkungen haben können, man am liebsten nicht mehr schlafen möchte (oder nur noch!). Da hat man alle Hände voll damit zu tun, den Anforderungen der Umwelt zu genügen. Natürlich kann eine Beziehung darunter leiden. Und der Partner natürlich auch. Grundsätzlich ist aber auch unter schweren Umständen, und dazu gehört eben auch so eine schwere psychische Erkrankung, trotzdem oft eine Beziehung möglich. Nur von "normal" oder "mühelos" oder "entspannt" muss man sich da als Beziehungswerte wohl eher trennen. Aber trotzdem, wenn, was ich mal einfach annehme, Liebe zwischen den Partnern da ist, und der Wille, eine Beziehung zu führen, dann gibt es meistens einen Weg, sagt aber keiner, dass der einfach ist.
Und - es kann sich ja auch jederzeit etwas ändern, nicht nur im Negativen. Manchmal bringt eine neue Medikation sehr große Veränderungen, manchmal findet man einen besseren Weg, miteinander umzugehen. Habt ihr mal daran gedacht, so etwas wie eine Paarberatung zu machen? Persönlich habe ich mit solchen "normalen" Paarberatungen leider sehr schlechte Erfahrungen in punkto Beziehung und bipolare Störung, vor allem, weil dort meistens eins nicht stattfindet - Beratung darüber, wie man Alltag mit bipolaren Phasen gestaltet. Oft bekommt man dort nur Rat bis zum Punkt - "dann geht ihr Partner eben in eine Therapie bis er wieder gesund ist und solange...." (passiert da mal gar nichts.....)
Aber möglicherweise gibt es eine Möglichkeit, mit einem Sozialarbeiter vom Sozialpsychiatrischen Dienst eures Gesundheitsamtes sowas wie beratende Gespräche oder Kriseninterventionen oder Ähnliches durchzuführen.
Sowas hat mir tatsächlich schon sehr geholfen. Dort findet man eher jemanden, der sich auch mit dem Alltag von psychisch Kranken und ihren Angehörigen auskennt - auch und gerade, wenn es eben keine zufriedenstellende Behandlung gibt und es an allen Ecken und Enden kriselt. Oft gibt es da niederschwellige Angebote, zu denen es leichter ist, ja zu sagen, auch als Betroffener, unverbindliche Gespräche u.ä..
Klar ist aber, dass du zumindest mit ihm darüber reden musst, wie ernst die Lage bei dir in Bezug auf die Beziehung aussieht, und dass du eigentlich aber die Beziehung nicht verlieren willst. Er sollte da zumindest wissen, wo er steht, auch damit er die Chance bekommt, eventuell noch weitere Anstrengungen zu unternehmen, auch auf diesem Gebiet besser klarzukommen. Das kann er z.B. mit seinem Psychotherapeuten, oder eben wie gesagt, ihr findet irgendwo auch gemeinsam weitere Hilfe vor Ort. Eine Angehörigenselbsthilfegruppe kann(!) auch ganz hilfreich sein, es kommt aber sehr darauf an, wie gemischt die Teilnehmer da sind. Erfahrungsgemäß gibt es oft nur "allgemeine" Angehörigengruppen, wo es auch um andere psychische Krankheiten geht, und oft sind das auch keine Partner, sondern Eltern oder andere Familienangehörige, die natürlich einen ganz, ganz anderen Hintergrund haben. (Und deren Bewältigungsstrategien nicht für dich gelten müssen...)
Als kleine Notlektüre zum sofortigen Umgang mit ihm, gerade wenn es schwierig ist, gebe ich dir mal einen Link, dann muss ich das, was da steht, hier nicht nochmal wiederholen - es passt aber sicher zu deiner Situation:
http://dgbs.de/service/dgbs-newsletter/newsletter-oktober-2013/drei-regeln

Abgrenzen ist gut und schön - und wirklich wichtig. Aber das heisst nicht, dass eine Beziehung zu einem Bipolaren mit Krankheitssymptomen nicht möglich ist. Selbst bei schweren Symptomen oder sogar unbehandelt. Ich habe selbst 2 Beziehungen in Jahrzehntlänge und länger gehabt - die allerallermeiste Zeit davon war ich unbehandelt/undiagnostiziert. Unmöglich ist also nichts.
Die Beziehung beenden kannst du natürlich jederzeit, wenn du keinen Sinn mehr darin siehst, aber so klang mir dein Beitrag ja nicht. Und vor allem - eine Trennung ist auch ein schmerzhaftes Ereignis, vor allem, wenn man sich viel zusammen aufgebaut hat. Da ist es manchmal besser, nachzudenken, wie man das verhindern kann und es trotzdem beiden in der Beziehung besser gehen kann...

Liebe Grüße,
M.

(*bin nur noch selten hier, aber immer noch bipolar wie Wechselstrom, Magneten und Wassermoleküle*)
48 Jahre, m., nehme Elontril, Seroquel und zusätzlich Bromazepam nach Bedarf, seit 3 Jahren berentet (unbefristet)



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 18.09.16 06:03.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Brauche euren Rat bitte

Delia 935 17. 09. 2016 23:20

Re: Brauche euren Rat bitte

zyklothym 703 18. 09. 2016 06:02

Re: Brauche euren Rat bitte

Delia 419 18. 09. 2016 08:05

Re: @zyklothym

Irma 493 18. 09. 2016 10:34



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