Hi Tom,
Du weißt ja, wie sehr Schwulen-Themen mich interessieren, also muss ich hier doch mal meinen Senf dazugeben. Sigmund Freud hat tatsächlich eine Verbindung zwischen Narzissmus und Homosexualität hergestellt, ich werde sie gleich zitieren. Ich muss aber deutlich warnen: Freud fasst den Narzissmus-Begriff viel weiter (er beinhaltet unter anderem auch so etwas wie einen „gesunden Narzissmus“) und er ist in seinen Ausführungen sehr vorsichtig, was bei meinem kurzen Zitat gleich nicht sehr deutlich werden wird. Freud macht eine Verbindung zwischen Narzissmus und Homosexualität auf; diese ist gleichwohl nicht so stark und zwingend, wie man ihm das öfter unterstellt. Das sieht man schon ein bisschen daran, dass er das folgende nicht in den Haupttext, sondern in eine Fußnote gepackt hat:
„Wir haben bei allen untersuchten Fällen festgestellt, dass die später Invertierten [= Homosexuelle; hier: homosexuelle Männer] in den ersten Jahren ihrer Kindheit bereits eine Phase von sehr intensiver, aber kurzlebiger Fixierung an das Weib (meist an die Mutter) durchmachen, nach deren Überwindung sie sich mit dem Weib identifizieren und sich selbst zum Sexualobjekt nehmen, das heißt vom Narzissmus ausgehend jugendliche und der eigenen Person ähnliche Männer aufsuchen, die sie so lieben wollen, wie die Mutter sie geliebt hat.“
Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Die sexuellen Abirrungen. Fischer Taschenbuch Verlag: Dezember 1972. S.21f. (Der Text stammt von 1904/1905 – fünf Jahre nach der Traumdeutung, aber noch lange vor der endgültigen Entwicklung seines Seelenmodells 1923)
Alles in allem ist sein Text von überraschend wenigen Vorurteilen geprägt und eine scharfsinnige Beobachtung der Realität. Wenn man nach Auffassungen sucht, die wir heute für fehlgeleitet halten, wird man unzählige finden. Etwa die, dass ein Teil der männlichen Homosexuellen an anderen Männern eben das liebt, was an ihnen weiblich ist – aber immerhin: nur ein Teil. Das ist schon ein Riesenfortschritt.
Ich finde ja sowieso, dass Freud immer dann zur Höchstform aufläuft, wenn er Verhältnisse beschreibt.
Bei allem Respekt für diese Leistungen halte ich persönlich das oben erläuterte Modell aber für völligen Käse.
Viele Grüße
Otacon
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1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.01.11 10:20.