Hallo Frech,
Selbst- und Fremdbild unterscheiden sich häufiger mal. Obwohl ich für mich zu einem Zeitpunkt noch glaube, dass ich ruhig und noch einigermaßen kontrolliert oder mittig bin, stellt meine beste Freundin ab und an fest, dass ich unterschwellig Signale von Gereiztheit, Unzufriedenheit und Unaufmerksamkeit aussende.
Wenn wir dann irgendwann darüber sprechen, ist das für mich zunächst befremdlich, bzw. bin ich erst skeptisch, vielleicht ist es mir auch peinlich. Doch wenn ich den Mut aufbringen, mir das genauer anzusehen, bemerke ich, dass sie Recht damit hatte. Im Gespräch wird mir dann bewusst, dass ich häufig schon viel früher Anzeichen aussende, die auf eine psychische Belastung hindeuten.
Natürlich müssen Fremdbilder nicht immer passen, da auch Voreingenommenheit eine Rolle spielt oder das Personen eben nur einen kleinen Ausschnitt von mir wahrnehmen. Aber auch wenn sie nicht zu passen scheinen, lohnt sich doch eine Auseinandersetzung damit, in der Frage, warum die Person oder die Personen gerade dieses Bild von mir haben.
Gerade wenn das Fremdbild eher negativ konnotiert ist, stellt sich schnell eine Abwehrhaltung ein. Da frage ich mich häufig, ob wir uns besser damit auseinandersetzen könnten, wenn wir vor Fehlern oder persönlichen Macken nicht so eine große Angst hätten. Wenn die Gesellschaft Fehler- und Mackenfreundlicher wäre und es nicht so moralisch hoch aufhängt. Das gleiche gilt natürlich bei psychischen Problemen und Phasen ebenso.
Wenn man ein inneres Bild von sich, als integeren, guten Menschen aufrecht erhalten muss, um seine Identität zu schützen und sich vor ggf. auch schmerzlicher Bewusstheit bewahren möchte, dann kann vielleicht auch nicht sein, was nach seiner Meinung nicht sein darf und abweichende Fremdbilder werden kategorisch abgelehnt. Da hilft es vielleicht, wenn andere Menschen signalisieren, du bist auch mit deinen Fehlern und Macken ein ganzer Mensch und um deiner Selbstwillen wertvoll. Auch wenn diese Fehler und Macken machmal gehörig auf die Nerven gehen können, so sei gewiss, wir haben diese Seiten alle mal mehr, mal weniger ausgebildet.
Es fällt mir immer noch nicht leicht, meine Nichtschokoladenseiten anzusehen, aber es ist schon besser geworden und verstehe, dass sie auch zu mir dazugehören. Und ja, manchmal ist es schwer zuzugeben, dass man wohl gerade in eine Phase abrutscht, aber es ist gut, wenn es Menschen gibt, denen man vertraut und die auf respektvolle Art und Weise einem den Hinweis geben. Dann muss ich nur noch den Mut finden, mir das selbst eingestehen zu können, um dann die notwendigen Schritte einleiten, die mir helfen, wieder aus dem stürmischen Fahrwasser herauszufinden. Je früher, desto besser.
Viele Grüße Heike
------------------ Signatur --------------------------
Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 18.07.19 18:32.