Hallo kinswoman,
du hast es ganz gut erfasst: Angehörige gehören weder zu Gruppe der Ahnungslosen noch zur Gruppe der Betroffenen. Angehörige werden niemals "wirklich verstehen, nachvollziehen können" wie es uns Betroffenen geht, wenn sie nicht selbst einmal betroffen waren ... niemals!!! Das hat einfach damit zu tun, dass wir mit jeder Phase auf eine Reise in für nicht Betroffene unvorstellbare Bewusstseinszustände geschickt werden.
In der Parkszene aus dem Film Good Will Hunting sagt der Psychotherapeut von Will Hunting folgende Sätze:
"Fragen zur Kunst würdest du mit einem Vortrag über alle Bücher zu diesem Thema beantworten. Michelangelo, du wirst alles wissen. Sein Lebenswerk kennst du. Seine Ansichten. Sein Verhältnis zum Papst. Seine sexuellen Neigungen, einfach alles! Aber ich wette du kannst mir nicht sagen wonach es in der sixtinischen Kapelle riecht. Du bist nie da gewesen und hast diese wunderbare Decke gesehen....dort oben".
Diese Szene bringt folgendes zum Ausdruck: Angehörige können in Büchern oder Onlineforen noch so viel über die Erkrankung gelesen haben, sie werden nie wissen wie sich eine bipolare Störung anfühlt. Deswegen wird es da immer diese Lücke geben zwischen Angehörigen und Betroffenen.
"Mitsprache, Mitgestaltung, Anerkennung von Erfahrung oder einfach mal Mitgefühl wird uns von Profi oder Betroffenenseite eher selten zuteil"
Hier müsstest du konkreter werden. Mitsprache bei was? Mitgestaltung wobei? Wie ich als Betroffener mein Leben gestalten sollte? Ich bin immer offen für Tipps, auch von Angehörigen. MITsprache und MITgestaltung ist ja kein Problem. Bedenklich wird es erst, wenn Angehörige glauben zu wissen, was das Beste für einen Betroffenen ist und ihm/ihr jegliche Autonomie zur eigenen Lebensgestaltung entziehen.
"Anerkennung von Erfahrung"....Erfahrung womit? Mit der Erkrankung? Ich finde die Erfahrungsberichte von Angehörigen mega interessant. Nur so weiß ich ungefähr, wie ich während einer Phase auf andere Menschen in meinem Umfeld wirke.
Und als letzter Punkt: Mitgefühl.
"Mitgefühl wird uns von Profi oder Betroffenenseite eher selten zuteil". Da ich nicht nur Betroffener bin, sondern auch Angehöriger, weiß ich wovon du sprichst und kann dir hierbei nur zustimmen. Ich selbst bin bei meiner schwerst psychisch kranken Mutter aufgewachsen und niemand hat gefragt wie es mir geht. Meine Mutter hat das alleinige Sorgerecht für mich bekommen, obwohl ihre Diagnose schon damals bekannt war. Nach dem Richterspruch hat keiner mehr gefragt wie es mir geht oder "wie die Geschichte denn ausgegangen ist", keiner! Weder ein Arzt, noch ein Sozialarbeiter, kein Gericht, kein Jugendamt und auch sonst keiner aus meiner Familie.
Um nochmal auf meinen ersten Absatz zurück zu kommen: Angehörige werden niemals wissen wie sich Betroffene fühlen. Aber sie sind auch keine Ahnungslosen, denn sie begleiten die Betroffenen ein stückweit bei ihrer Reise in fremde Welten. Als meine Mutter psychotisch war und davon berichtete, dass sie schwarz gekleidete Männer vor unserem Haus gesehen hat, die uns nichts Gutes wollten....da sah ich einen Ausschnitt ihrer Realität. Denn ihre Realität wurde ja auch ein stückweit zu meiner Realität. Ich wusste zwar bereits als Kind, dass meine Mutter "nicht normal ist" und dass das Meiste von dem was sie sagte nicht der Realität entspricht, trotzdem machte ich in besagten Nächten kein Auge zu, weil ich unglaubliche Angst hatte.
Deswegen denke ich auch, dass Angehörigen mehr Mitgefühl gezeigt werden sollte, weil sie natürlich auch unter der Situation leiden. Was mir nur immer wieder auffällt ist, dass wir Bipolaren von Angehörigen zuweilen als charakterlose Schweine beschrieben werden. Die Krankheit wird häufig ganz schön dämonisiert und jeder Betroffene wird zum unberechenbaren Menschenfeind deklariert. Da ist es dann auch manchmal schwierig solchen Menschen Mitgefühl zu zeigen.
Lg Supernova
