Leponex

24. 10. 2003 12:47
Hallo ihr Lieben,

habe schon eine ganze Weile das Forum verfolgt und möchte mir nun auch mal direkt Hilfe holen. Eine Warnung im Voraus: es wird ein etwas sehr langer Beitrag werden, aber ich muss einiges loswerden!!!

Vor ca. 4 Wochen bin ich sozusagen selbst zur "Angehörigen". Mein Bruder (20) wurde vor drei Wochen von uns (seiner Familie)durch einen (kann nicht sagen glücklichen) Umstand in die Psychiatrie gebracht.

Zur Vorgeschichte: Mein Bruder konsumiert seit ca. 6 Jahren fast täglich Cannabis (Das es so schlimm ist, haben wir erst jetzt erfahren - man will sowas ja nicht wahrhaben). Meine Eltern hatten und haben seit mehreren Jahren schwere eheliche Probleme, die Erziehung meines Bruders lief meist eher als eine Art Problem-Kontrolle und weniger als liebevolle helfende Beziehung (Ich möchte hier aber keinesfalls von Schuld reden, sondern nur die Fakten aufzählen). Mein Bruder hat sich dann auch zunehmend von seinen Eltern und auch von mir zurückgezogen und sich nur noch mit seinen Freunden - die allesamt eine recht ähnliche Problematik haben - abgegeben. Die Droge war - auch nach seinen eigenen Aussagen - also eine Realitätsflucht für ihn.

Seine oft gereizte/agressive Art bei schwierigen Situationen und seine Introvertiertheit in den letzten Jahren haben wir leider als seine Persönlichkeit angesehen und nicht als Vorboten einer ernsthafteren Störung. Mit einigen Anstrengungen (Es fällt ihm äußerst schwer, sich auf Dinge zu konzentrieren, die ihn nicht interessieren und er musste die elfte Klasse wiederholen)hat er aber diesen Sommer sein Abi abschließen können. Und hat sich vorgenommen, sein Leben umzukrempeln. Er wollte sich eine WG suchen, sich für ein Studium bewerben und hatte sich vorgenommen, "es uns allen zu zeigen".

Nur meine Mutter hatte seit Monaten immer regelmäßig in ihrer eher übervorsorglich-hysterischen Art gewarnt - "mit dem Jungen stimmt was nicht, die Drogen machen ihn kaputt" - mein Vater und ich haben dies (leider) nur als Überreaktion abgetan und auch ich war in dem festen Glauben, dass mein Bruder es schafft, wenn er nur endlich zu Hause ausziehen kann (Das Abitur zu schaffen war sozusagen Bedingung dafür gewesen).

Eine WG hatte er bald gefunden, auch hatte er sich (mit einigen Organisationsschwierigkeiten) in ein Studium eingeschrieben.

Als ich ihn vor ca. 4 Wochen mit meinem Freund nach einem 14-tägigen Urlaub nun das erste mal in seiner neuen WG besuchen wollte, waren wir beide von seinem Zustand überwältigt. Ich musste schlagartig weinen.

Er redete nur noch in Assoziativketten und malte ständig einzelne Sachverhalte auf Papier und versuchte uns etwas zu erklären. Erst nach ein paar Tagen auf Leponex konnten wir dann die eigentlichen Inhalte erkennen: Er redete darüber, dass er nun alles verstanden hätte, z.B. wieso seine letzte Beziehung kaputt gegangen sei, warum er sich zurückgezogen hatte, wieso er Cannabis nahm, dass er sich selbst die ganze Zeit betrogen hätte, dass total intelligent sei und trotz wenig aufwand sein Abitur geschafft hätte, dass er einen Computervirus programmieren könne ohne es je gelernt zu haben, dass er jetzt an einem Buch schreiben würde, dass es ihm jetzt endlich gut ginge und die anderen ihn aber alle nicht verstehen könnten, weil sie ihn gar nicht richtig kennen würden ... usw... Wenn man ihn stoppen wollte oder seiner Meinung etwas entgegensetzte, wurde und wird er hysterisch. Als wir zu ihm sagten, wir wären ganz geschockt und er bräuchte Hilfe kam er sogar freiwillig mit in die Psychiatrie, um uns zu beweisen, dass er ganz normal und gesund sei und wir uns irren.

Die Ärzte meinten natürlich auch, dass er Hilfe braucht und so wurde er aufgrund einer akuten (psychotischen) Manie eingewiesen. Inzwischen stehen zwei Anfangs-Diagnosen: manisch-depressiv und cannabisinduzierte Psychose.

Seine Mitbewohner erzählten uns später, dass er sich vorher seit ca. 1/2 Woche da immer mehr hineingesteigert hatte, er hätte nur noch geredet und auch private Inhalte gegenüber Kumpels geäußert, die er kaum kennen würde. Auch später in der Klinik sprach er anfangs mit jedem über diese persönlichen Dinge.

Wie er auch selber sagte - er hatte sich sozusagen um 180 Grad verwandelt - und war endlich der geworden, der er immer sein wollte. Und er fühlte sich endlich super.

Er bekam in der KLinik dann Leponex verordnet, was ich nicht ganz verstehen kann - aufgrund der Nebenwirkung sollte es ja nur bei Therapieresistenz eingesetzt werden - aber als Angehöriger wird man da bei über 18-Jährigen nicht vorher informiert!! Er hatte in der Klinik auch schon einen nächtlichen Anfall (Atemnot, Erbrechen - Epilepsieanfall?) und nun wurde die Dosis von 300/200 auf 100 mg gesetzt.

Das Schlimme aber ist, man hat ihn bzw. er hat sich vor einer Woche schon wieder selbst entlassen (nach ca. 1,5 Wochen kam er in die Offene und nach zwei Tagen war er dann natürlich auf eigenem Wunsch draußen).

Nun stürzt er sich in sein Studium. Er hat immer noch einen extremen Rededrang und einige absolut unrealistische Weltvorstellungen: z.B. "Er ist super intelligent und versteht im Studium ja jetzt auf Anhieb alles" - Bücher will er aber keine lesen, "da braucht er nur den Titel zu lesen und weiß, was drinsteht" ... Er ist dann aber andererseits sauer, dass "wir ihn in die KLinik gebracht haben" und dass er dadurch die erste Studienwoche verpasst hat und nun hat er schon sichtlich Mühe, die nun nötige Organisation auf die Reihe zu bekommen.

Die Manie ist also bei Weitem noch nicht ausgeheilt. Noch nimmt er Leponex, aber nachdem er nun den Beipackzettel richtig gelesen hat und ihn die ständige Müdigkeit und "Enge im Kopf" total stört, bin ich nicht sicher, wie lange noch!!! Ohne Kiffen hält er es z.Zt. auch noch aus - aber auch hier: wie lange, besonders, weil er ja immernoch mit seinen "alten Kifferfreunden" zusammen ist?

Ich/wir versuchen, Hilfe und Zeit für Gespräche anzubieten - auch eine Familientherapie - ihm aber sonst die Distanz zu lassen, die er will. Das ist schon eine extreme Gradwanderung!

Er will sich natürlich jetzt erst Recht von niemandem anders helfen lassen. Er meint auch, es war ja an sich toll, weil er ja jetzt endlich alle aufgerüttelt hat, sich zu ändern, weil meine Mutter jetzt selbst eine Therapie anfängt und seine Freunde auch über ihre eigene Situation nachdenken.

Ich weiß nicht, ob ich mich einfach damit abfinden sollte, dass ich (wir) nichts machen kann (können), dass er jetzt eventuell wieder in die akute Manie rennt, weil er Leponex absetzt, aber in die Geschlossene will er natürlich nie wieder freiwillig - er hat also noch null Krankheitseinsicht!


Wer hatte schon Erfahrungen mit ähnlichen Situationen? Ob ich doch etwas unternehmen kann, um ihm da zu helfen? Von den Ärzten wird man ja als Angehöriger auch nicht mehr informiert!
Und der Betreuer, der für ihn auf Geheiß der Klinik gerichtlich eingesetzt wurde, hat sich unseres Wissen auch noch nicht bei meinem Bruder gemeldet - ist das alles normal so?

vielen Dank schon im Vorraus!

eine "betroffene" Schwester

Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Leponex

walk_on 612 24. 10. 2003 12:47



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