"Von den reichen Leuten kann man noch was lernen."
Von den sog. Reichen, die sich auf Kosten der finanziell Abhängigen öfter ein neues Auto gönnen, kannst du nur lernen, dass Geld den Charakter verdirbt. Mein Vater hatte genug, um sich immer wieder ein neues Motorrad oder ein Auto bzw. einen Wohnwagen und teure Fernseher zu kaufen. Ich bin mit ner Klapperkiste rum gegurkt und lebte von Wohngeld und Arbeitslosengeld. Das Auto war ständig kaputt, ich kam kaum in die Stadt, zum Praktikum musste ich eine Stunde zu spät kommen, weil kein früherer Bus fuhr.
Mein Vater prahlte mit neuem Computer, neuem Auto, neuem Fernseher. Meine Schwester prahlte mit neuem Bad für 1200 €, Solarzelldach und Deckenventilator mit Farbwechsellicht. Und ich komme mir jedes Mal sooo klein vor. Weil ich kein Haus habe, kein neues Auto, nicht mal einen Flachbildfernseher. Und weil das jedes Mal so klingt oder so aussieht, als stünde dahinter der Satz: "Und du? Was hast du vorzuweisen?" Oder: "Warum bist du nicht so stinkreich, dass du wirklich zur Familie gehören könntest?" Denn auch als Teenager fühlte ich mich schon minderwertig. Genau so kommt das immer rüber, wenn die Leute ihren materiellen Neuerwerb anpreisen.
Statt sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, greifen sie zu Prahlereien und gucken nur neugierig über die Schulter, wenn es etwas Interessantes in der Musikecke gibt. Jedes Familientreffen läuft so ab. "Ich habe dies!" "Ich habe das!" Mein Mann erzählt die ganze Zeit was über Klimawandel, Temperaturen, Politik, der Rest unterhält sich untereinander über neue Errungenschaften, und ich sitze daneben und höre mir das an. Da ein unscheinbarer Otto-Normalverbraucher nun mal eben uninteressant ist. In dieser Familie bin ich aufgewachsen. Das einzige, was meinen Vater interessierte: "Rollt der Rubel?" Meist war ich arbeitslos. Hauptsache, er hatte seinen teuren Schlitten, und ich konnte sehen, wo ich blieb.
Das lernt man von reichen Leuten. Die sind reich an Geld und arm an Herz. In der Familie meines Mannes hilft man sich gegenseitig, auch finanziell, wenn es schlimm aussieht. Die interessieren sich dafür, wie es den Anderen geht. Auch eine angeheiratete Person davon ist reich, aber was ich von ihrem Charakter bisher mitgekriegt habe, ist auch immer weniger lobenswert, wenn ich es gelinde ausdrücke. Sie neigt dazu, bei Schwierigkeiten das Weite zu suchen. Im Grunde war ich immer arm, an Taschengeld, an Zuneigung, an Freiheit. Es erfordert viel Arbeit und Umdenken/Therapie, um da raus zu kommen. Auch ist es wichtig, diese Vergleiche abzustellen und sich zu sagen: Dafür habe ich mehr Zeit für meine Hobbies, ich kann immer kreativ sein, ich bin witzig. Ich hab die Haare schön, ich hab die Haare schön, ich hab ich hab die Haare schööön.
Frohe Weihnachten
bi-polare Grüße
Bipolara
Autorin, Hobby-Fotografin u. -Komponistin
Nicht nur ich leide unter meiner Krankheit. Die anderen tun es auch manchmal.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 24.12.15 00:05.