(Bipolares) Hin- und Her

25. 12. 2017 20:07
Hallo zusammen,

ich bin seit ein paar Monaten stumme und unsichtbare Leserin. Jetzt traue ich mich auch mal was zu schreibe. Es ist großartig wie hier mit Wissen und Empathie supportet wird.
Entschuldigt nun schon einmal die folgende Wortfülle.

Naja. Ich bin seit ein paar Monaten in einer Reflektionsdauerschleife gefangen. Von Januar bis Juni diesen Jahres war ich höchstwahrscheinlich zum ersten Mal in meiner längsten (hypo-?)manischen Phase, was dann dazu geführt hat, dass die Diagnose aufeinmal da stand, davor war es stets immer rezidivierende Depressionen.Meine depressiven Phasen an sich waren auch meist eher untypisch. Ich habe mich immer auf eine gewissen Art und Weise verkrochen (z.B immer vor meinem alten Freundkreis in meiner Heimatstadt), war aber wenig allein, weil ich das auch nicht ertragen konnte.
Und jetzt ist mir auch klar, dass ich seit mindestens 3 Jahren Hochs- und Tiefs in softerer Form gehabt habe, bei mir zeigt sich das besonders in wechselnden Freundeskreisen und beruflichen Wegen. Ich bin schon immer ein unstetiger & unkontinuierlicher Charakter gewesen. Dennoch zeigt sich das besonders stark in den letzten 3 Jahren: abgebrochener Master, zwei halbjährige Freiwilligendiensten, eine abgebrochene Ausbildung, einem halben Jahr Jobben zum Zweitstudium rumgewechselt. Ich habe stets meine Krisen und Desorientierungen durch äußere Veränderungen zu lösen versucht.

Der erste Knall in meiner letzten Hochphase war die Kündigung in meiner Ausbildung. Man hat mich dort verdächtigt aufputschendes konsumiert zu haben, hat mich als distanz- und grenzenlos wahrgenommen. Was ich auch irgendwie gewesen bin, meine Freunde haben mir das stetig rückgespiegelt. Manche konnten mich gar nicht erst ertragen, so wie beispielsweise mein Ex Freund (5 Jahre Beziehung). Andere wiederrum schon, ich hatte eine sehr kurze und intensive Beziehung (3 Monate) mit jemanden, der definitiv Sucht- und Selbstwertprobleme hat. Ich bin jedenfalls hart angeeckt, hatte ziemlich viel Wut in mir (ich hatte interessanterweise ständig Vorfälle mit Ticketkontrolleuren) obwohl ich eigentlich ein friedfertiger Mensch bin. Ich hab extrem viel konsumiert (v.a Weed & Alkohol) und war bis zur Eschöpfung unterwegs, was mein Körper mit Fieberschüben gezeigt hat. Und ich war unendlich kreativ, habe unendliche viele gezeichnet, geschrieben, Straßenmusik gemacht, aufgelegt und Konzerte gegeben, Lieder geschrieben. Ich habe wie nie zu vor meine eigenen Bedürfnisse gespürt und dann auch direkt umgesetzt, mit der Vorstellung endlich ein Gefühl für mich selbst zu haben. Das war der wunderbare Teil, der mir jetzt schmerzlich fehlt. Aber es gab auch einige Grenzüberschreitungen (kurze Obdachlosigkeit, durch so harten Stress in der vorherigen WG) für die ich mich nachwievor schäme.
Im Juli ist das ganze dann so langsam abgeflaut und im September war dann von dem hippiesken, musischen, lauten, überdrehten, selbstbewussten und extremen Ich, quasi nichts mehr da. Musik machen fällt mir seit dem extrem schwer, nur das zeichnen kommt langsam wieder. Ich habe mich so hart geschämt, dass ich diesem Bild, was ich in dem Monaten zuvor aufgebaut habe, von meinem Gefühl für mich selbst nicht enstprechen kann, weil ich einfach nur normal sein wollte. Ich habe mich versteckt, versucht durch nichts (wie z.B meine Dreads, die habe ich abgeschnitten) aufzufallen.
Und dann habe ich mein Zweitstudium angefangen, weniger mit der leidenschaftlichen Motivation, als aus pragmatischen Gründen, da ich die Situation des Ziellosem, selbstorganisierten Jobbens (was ich zuvor als absolut ideal wahrgenommen habe) nicht mehr ertragen konnte. Die ersten Wochen waren der absolute Horror, ich war introvertiert wie eine 12 jährige, heillos überfordert mit allem und gefühlslos wie ein Eisblock. Letzteres machte mir besonders zu schaffen, da mir noch mehr klargeworden ist, dass ich eine Tendenz zur Dependenz habe, welche sich in meiner langen Beziehung stark entwickelt hat. Und in der Manie hatte ich die Illusion der Stärke, Unabhängigkeit, Persönlichkeit. Gerade die Erfahrung, dass ich ganz genau wusste was ich als nächstes schönes (für mich) tun möchte, weil ich zu Akitivitäten endlich ein Gefühl hatte, vermisse ich jetzt schmerzlich. Egal wie illusorisch und selbstzerstörerisch das Ganze war, ich hatte da eine (basale) Fähigkeit, die mir jetzt entfallen ist. So brauche ich eigentlich immer stets eine soziale Orientierung, da ich Ideen, Innovation, Bedürfnisse nicht aus mir selbst heraus schöpfen kann. Und eben aufgrund solcher Aspekte vermisse ich meine "Manie" schon sehr, ja, ich wünsche sie mir auch öfters wieder zurück, gerade aber mit dem Glauben daran sie besser kontrollieren zu können. Ich hab nun Mechanismen, die jedoch erstmal nicht medikamentöser Natur sind.

Naja. Jedenfalls habe ich nun wieder eine ganze andere Identität angenommen (das mache ich in meinen depressiveren Phase immer) und habe mich von Leuten, die mich mit meinem manischen Ich kennengelernt habe, entfernt, da ich mich so hart schäme so anders zu sein. Diesen Aspekt kann irgendwie niemand nachvollziehen.
Momentan scheint es durch einzelne schöne Momente bemerkt ein wenig bergauf zu gehen, aber der Grundtonus ist mässig. Weder hart noch oben noch hart nach unten, ein Gefühlseinheitsbrei, der jedoch auch keine Visionen oder (wenig) Gefühle an sich ermöglicht. Ich plätschere mit meinem Leben einfach so da hin.

Kennt ihr dieses Gefühl von "Selbstscham" nach einer Manie? Ich meine jetzt nicht die Scham für die Dinge, die man manisch motiviert getan hat und mit denen man andere verletzten hat, sondern das was ich oben beschrieb. Die Scham keinen stetigen Charakter zu haben und anderen ein Bild von sich zu vermitteln, was man ein paar Monate leben kann und dann plötzlich nur noch das absolute Gegenteil darstellen zu können.

Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, diesen jämmerlichen Kram zu lesen.
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(Bipolares) Hin- und Her

Koolibri 1373 25. 12. 2017 20:07

Re: (Bipolares) Hin- und Her

Sue 562 25. 12. 2017 22:16

Re: (Bipolares) Hin- und Her

YingYang303 579 25. 12. 2017 22:21

Re: (Bipolares) Hin- und Her

Katleen 477 26. 12. 2017 07:36

Re: (Bipolares) Hin- und Her

MuMe91 560 26. 12. 2017 08:46

Re: (Bipolares) Hin- und Her

Koolibri 600 27. 12. 2017 08:25



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