Hallo zusammen!
Lieber Martin, liebe Heike,
immer langsam mit den jungen Pferden... Der Baum ist gerade mal 2 Tage alt!
Uns Angehörigen mangelndes Interesse am Trialog zu unterstellen, hätte zu diesem Zeitpunkt nun wirklich nicht sein müssen (eigentlich kann ich kaum glauben, dass du das wirklich so gemeint hattest, ich denke und hoffe mal, du wolltest uns einfach nur "aufrütteln"?! :-)).
Diejenigen Angehörigen, die sich schon länger mit all diesen Themen beschäftigen - und das sind eben auch die, die hier schon länger schreiben und vor allem mit dabei bleiben - haben nicht mehr viele offene Fragen, welche sie an diesem Punkt stellen könnten. Sie schauen vielleicht auch nicht mehr täglich ins Forum.
Oder sie hatten - so wie ich - einen anderen Grund, nicht sofort beim ersten Lesen auf diesen Baum zu antworten. ;-)
Ich wollte nämlich den Landespsychiatrietag Baden-Württemberg, der heute in Stuttgart stattgefunden hat, abwarten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was gerade aktuelle Themen der Psychiatrie, des Trialogs und somit auch der Angehörigen sind.
Also, hier nun mein Ergebnis, in das neben meinem noch ganz frischen Tagungserlebnis natürlich auch meine eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen anderer Angehöriger mit einfließen.
Was mir beim Sammeln übrigens aufgefallen ist:
Nicht selten haben Angehörige die gleichen Fragen wie Betroffene, z.B. ob es eine "Heilung" gibt, ob ein phasenfreies Leben möglich ist.
a) Wo bekomme ich
Informationen zur bipolaren Erkrankung und den Behandlungsmöglichkeiten?
Stichwort: Gezielte Buchtipps, Bundesverband für Angehörige, Psychoedukation für Angehörige, DGBS-Seminare/Homepage
b) Ist ein
phasenfreies Leben möglich? Müssen Betroffene dazu ihr Leben lang Medikamente nehmen? Was ist sonst noch nötig für Stabilität, was kann ich, was kann die Familie dafür tun?
c) Wie soll ich mich in
akuten Krankheitsphasen
verhalten?
Stichwort: Manie und Depression trennen, Verhaltenstipps/-anregungen für die jeweilige Situation bezüglich der Kommunikation mit dem Betroffenen (z.B. Unterlagen der DGBS-Angehörigen-Seminare)
d) Wie funktioniert der
Trialog in der
Realität? Kann und soll ich mich mit dem behandelnden Arzt in Verbindung setzen? Wie ist das mit der
Schweigepflicht, welche
Rechte habe ich als Angehöriger?
e) Welche (ethischen)
Pflichten habe ich als Angehöriger - wo fängt die Selbst-/und Fremdgefährdung in Manie und Depression an? Wann muss ich
Hilfe wider Willen - zum Wohle des Betroffenen - anwenden, welchen amtlichen Weg muss ich dazu einschlagen (wo rufe ich an?) und wird der Betroffene mir das jemals verzeihen?
Stichwort: Heute beim überragenden Vortrag von Prof. Bock gehört: Jeder Mensch hat neben seinem Recht auf Krankheit auch ein Recht auf Halt - die Psychiatrie kann in solchen Fällen nicht einfach komplett gleichgültig sein! Und: gerade Vertrauenspersonen sollten Zwangsmaßnahmen (Einweisung) begleiten.
f) Wie kann man
finanziellen Ruin in der Manie verhindern?
Stichwort: Bei uns hat z.B. der behandelnde Arzt Geschäftsunfähigkeit-Atteste ausgestellt, mit denen manische Einkäufe rückgängig gemacht werden konnten...
g) Passend dazu: Möglichkeiten und Gefahren der verschiedenen Vollmachts- und Betreuungsmaßnahmen; Welche Formen der
Betreuung gibt es? Wer betreut? Was kostet das? Für welchen Zeitraum werden Betreuungen angesetzt? Gibt es ein Schnellverfahren im Akutfall?
h) Wenn Kinder mit im Spiel sind: Wie kann man die
Kinder vor seelischen Schäden
schützen?
i) Was kann ich
für mich selbst tun, damit ich gesund bleibe und genug Kraft habe? (
Resilienz-Forschung: was hält mich gesund?) Woran merke ich, dass ich therapeutische Hilfe brauche? Zu welchen kostenlosen Beratungsstellen kann ich gehen? Wo kann ich mich austauschen, außer hier im Forum? Gibt es Selbsthilfegruppen für Angehörige, wenn ja, wo sind sie verzeichnet?
j) Passend dazu: Darf ich mich
trennen(auch als Familienmitglied!), wenn es gar nicht mehr geht, oder muss ich mich dann schuldig fühlen?
k) Was hat das zu
bedeuten, was in den
akuten Phasen passiert? Wenn sich der Betroffene von mir trennt, meint er das dann
Ernst? Sollten wir, das heißt er und auch ich, solche
Entscheidungen überhaupt in akuten Krankheitssituationen fällen?
l) Noch ein wenig genauer nachgefragt: Fallen Manie und Depression einfach vom Himmel, oder hat das, was in den Phasen passiert, etwas mit der
Persönlichkeit und den (unerfüllten)
Bedürfnissen des Betroffenen zu tun? Muss eine Manie dahingehend
aufgearbeitet werden?
Weiß der Betroffene überhaupt noch, was in der Manie alles passiert ist?
m) Welche Chance bietet ein
Krisenplan und was habe ich als Angehöriger damit zu tun?
n) Wie schaffe ich den Balance-Akt zwischen vorsichtigem "
im Auge behalten" und massivem "
Kontrollieren"? Was hilft mir, trotz meiner Sorgen und Ängste "auf Augenhöhe" zu bleiben?
o) Was bedeutet
Co-Abhängigkeit und wie merke ich, ob das bei mir der Fall ist?
p) Wie gehe ich mit (drohender)
Suizidalität um? Wann muss ich handeln? (siehe auch e))
q) Und zuletzt die Frage, auf die es keine zufriedenstellende Antwort gibt... Wenn der Betroffene sich grundsätzlich
nicht behandeln lassen will, was kann ich dann tun?
Sodelle... Das reicht erstmal. Ich überlege aber noch weiter. ;-)
Grüßle,
die kleine Maus
26 J., w., süddt. Raum, Angehörige, Papa bipolar seit '91
Quote
Johann W. Goethe
Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 04.10.11 22:31.