Guten Morgen und einen schönen Frühling allen.
eigentlich habe ich diesen Post an Larbipo verfasst zu dem Thema:
Stabilität ist möglich- ja. Heilung? Nein!
Dann bin ich beim Schreiben etwas eskaliert und hab dann doch nen Baum aufgemacht:-)
Bin seit über 30 Jahren mittlerweile erkrankt (bipo 1 mit Psychosen). Meine manischen und psychotischen Eskapaden sind hier im Archiv teilweise nachlesbar (und nein, ich bin nicht stolz drauf, grrr).
Seit meiner Jugend war so ziemlich alles dabei:
Schulabbruch, da ich in der 11. Klasse zweimal mit jeweils monatelangem Klinikaufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie landete, OFW, Kündigung der Ausbildung, schwerste Depressionen, in denen Essen und Duschen zu einer wahren Challenge wurde, schwere Manien, üble Psychosen. Es gab Jahre in denen ich die Drehtürpatientin schlechthin war, kannte mich in den Klappsen besser aus als in der eigenen Bude. In meinen Hoch-Zeiten hatte ich 3 mal täglich je 7 Psychopharmaka auf dem Speisezettel/ 21 Pillen am Tag. Zahlreiche Fixierungen, Gewalterfahrungen in diversen Kliniken (ja, auch das gibt es und du stehst halt ohne Zeugen da...)
Drei Meter laufen war teilweise bereits zuviel und ich musste mich setzen.
Mein dad hat mich dann Schritt für Schritt durch Spaziergänge, Miniradtouren- aber vor allem durch den festen Glauben an mich da mühsam rausbegleitet. Damals war ich 18 Jahre alt, stand da mit nem miserablen Abgangszeugnis nach Klasse 11. Ohne Ausbildung, ohne Perspektive, das ganze Dorf hat über mich gelacht, Mobbing und Ausgrenzung in der Schule (zumindest fühlte es sich so an). Kurz darauf rasselte ich durch die praktische Führerscheinprüfung und fühlte mich noch mehr wie der letzte Loser.
Nach 10 Jahren Stabilität verstarb dann mein dad bei einem tragischen Unfall. Das zog mir den Boden unter den Füßen weg. Bis zu dieser Zeit hatte ich eine Ausbildung absolviert, meinen Abschluss parallel nachgeholt, Berufserfahrung gesammelt und 2 Grundstudien abgeschlossen.
Dann wieder der Crash- wieder Jahre, die geprägt waren von Drehtürpsychiatrie. Die Klinikaufenthalte waren jeweils dann mehrere Monate und genausolang brauchte es oft bis ich wieder klarkam. War ich entlassen, begann ich wieder Gas zu geben an der Uni, viel zu arbeiten- finanzielle Unterstützung wie Bafög hatte ich nicht- der Job war Samstag, Sonntag und Feiertage sowie alle Urlaube in Vollzeit, unter der Woche studierte ich- zunächst im Doppelstudium. Natürlich kam dann regelmäßig der Crash und es ging nix mehr. Und so wechselte sich das fröhlich ab. Ich hatte das Glück in einem Diplomstudiengang zu sein, so dass ich nicht zwangsexmatrikuliert werden konnte damals.
Während meiner Abschlussprüfungen wurde ich schwanger und habe die erste Prüfungsstaffel grade noch vor der Geburt meines Sohnes eingetütet. Leider wurde ich dann instabil und es folgte keine gute Zeit und es ging wieder los mit Klinikaufenthalten. Es dauerte lange, bis sowas wie "Stabilität" zurückkehrte. Ohne den support durch die Mutter meines Partners hätte ich Vieles nicht geschafft. Dafür bin ich von Herzen dankbar.
Mittlerweile liegt mein letzter Klinikaufenthalt über 10 Jahre zurück. Das Studium konnte ich erfolgreich beenden. Ich arbeite seit 9 Jahren nahezu Vollzeit und lebe seitdem mit meiner Familie in einer Wohnung (was lange undenkbar schien...). Und ja- es gibt Krisen und die wird es immer geben im Leben- auch als vermeintlich gesunde Person. Für mich ist entscheidend, was wir daraus mache.
Ja, die bipolare Störung kann einen sehr schweren Verlauf haben und in einer Depression ist es schwer irgendeinen Ausweg zu sehen und zu finden.
Jede Depression endet aber auch- nur wissen wir nicht wann. Und jede Manie endet ebenfalls. Und die Zeit dazwischen - auf die kommt es meiner Erfahrung nach an.
Stärke ich meine Resilienz (psychische Widerstandskraft)?
Bin ich achtsam und wohlwollend im Umgang mit mir selbst?
Schätze ich jeden einzelnen Tag und lege den Fokus auf die Glanzlichter?
Nehme ich mich so an, wie es eben gerade ist?
Erarbeite ich mir in stabilen Zeiten einen Notfallkoffer und Strategien, was zu tun ist im worst case?
Kann Selbsthilfe ein Baustein sein?
Hole ich mir psychotherapeutische Begleitung?
Kann ich Gespräche über den SPDi nutzen?
Gibt es stärkende Beratungsstellen, die ich kontaktieren kann?
Ist ein Dankbarkeitstagebuch etwas für mich- oder eine entsprechende App? (nutze beides seit Jahren, große Empfehlung)
Kann ich eine Sportart finden, die ich moderat betreibe?
Welche Menschen tun mir gut und lassen mich nach einem Kontakt gut fühlen und "aufblühen"?
Wie kann ich mir Wissen über die bipolare Erkrankung aneignen?
Wann muss ich auf die Bremse treten?
Wann brauche ich Aktivierung durch Spaziergänge oder einen Sport, der mir Freude bereitet?
Welche Musik brauche ich grade?
Gibt mir Arbeit Kraft oder raubt sie mir diese?
Brauche ich eine Veränderung in einem Bereich meines Lebens?
Ich lese sehr viel und meine Empfehlung Nummer eins (grade für bipo1-Personen):
Meine ruhelose Seele- die Geschichte einer bipolaren Störung von Dr. Kay Redfield Jamison.
Dr. Jamison ist eine der führenden Experten auf dem Fachgebiet der bipolaren Störung - und kennt diese aus eigener Erfahrung. Zu Beginn ihrer Karriere als akademische Medizinerin erkannte sie, dass sie selbst die gleichen rauschhaften Höhenflüge und depressiven Tiefen durchlebte wie viele ihrer Patienten. Diese Krankheit trieb sie mal in den ruinösen Kaufrausch, mal in gewalttätige Phasen und schließlich in einen Selbstmordversuch. In diesem Buch beschreibt Jamison die bipolare Störung aus zwei Sichtweisen - der der Heilerin und der Geheilten. Meine ruhelose Seele besticht durch Offenheit, Ehrlichkeit und Weisheit. Ein kraftvolles Buch mit dem Potenzial, Leben zu retten und zu verändern.(kopiert aus der Buchbeschreibung)
Dieses Buch hat mich sehr berührt.
Schon oft erwähnt worden, aber auch ich mag das Buch von Astrid Freisen "Wir fliegen hoch, wir fallen tief" auch sehr und erkenne mich in Vielem wieder.
Beide Bücher haben mir Mut und Kraft gegeben - in unterschiedlichen Phasen meines Lebens auf verschiedene Weise.
Mich würde sehr interessieren, was euch hilft weiterzumachen und zu kämpfen. Was macht ihr, um euch auf instabile Zeiten so gut es geht "vorzubereiten"?
Herzliche Grüße an alle - besonders an diejenigen, die grade strugglen. Gebt micht auf.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 21.03.25 10:20.