Guten Morgen Karlito,
Dir ist sicherlich bewusst, dass Medikamente in jedem Körper anders wirken. Ich finde, die Erfahrung anderer Menschen aber auch interessant. Ich kann jedoch nicht nachvollziehen, warum diese für Dich wichtiger als Fachinformationen zu den Medikamenten sind. Würdest Du mir das erklären?
Ich möchte vorweg betonen, dass Dein Körper ganz anders auf Lithium und Valproinsäure reagieren kann als meiner. Mir ist wichtig, dass Du das beim Lesen meiner Antwort immer im Kopf behältst. Vielleicht motiviert Dich meine Erfahrung, Deine eigene zu machen. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, möchtest Du in erster Linie Deine Angst angehen und dabei kann Austausch helfen. Meine Ängste werden zumindest kleiner, wenn ich sie mit einem Gegenüber teile, das Verständnis hat. Und ich habe absolut Verständnis für Ängste bezüglich Psychopharmaka. Bei mir erfolgt in den nächsten Wochen auch die Einstellung einer medikamentösen Basis und mich gruselt es davor, aber ich bin gerade an einem Punkt, wo es ohne bisher für mich nicht geklappt hat und ich möchte ernsthaft ausprobieren, ob und wie mir Medikamente helfen können, bevor ich mich weiterhin weigere.
Du weißt im Vorfeld nicht, ob und welche Nebenwirkungen bei Dir auftreten, egal wie viel Du recherchierst. Das ist Dir bestimmt klar. Aber bei einer guten Begleitung erfolgt ein enges medizinisches Monitoring und ein Medikament kann gewechselt werden, wenn die positive Wirkung die Nebenwirkung nicht erträglich macht oder kein Umgang mit den Nebenwirkungen gefunden werden kann. Was macht Dir denn konkret Angst? Lindert sich Deine Angst etwas, wenn Du Dir immer wieder bewusst machst, dass das ein Prozess ist, der medizinisch begleitet wird und veränderbar ist?
Ich habe immer Angst vor langfristigen organischen Nebenwirkungen. Sofortige Nebenwirkungen machen mir kaum Angst. Entweder die verschwinden schnell von alleine oder sie nerven mich so, dass ich ein anderes Medikament oder eine andere Dosierung (letzteres kann reichen) probiere. Ich lasse mich beraten und medizinisch betreuen, aber ich entscheide und ich erwarte, dass die mich Behandelnden das genauso sehen. Schließlich ist das Medikament in meinem Körper. Ich bin diejenige, die mit dem Medikament (er)lebt.
Ich vertrage zum Beispiel keine Neuroleptika (in keiner Dosierung). Stimmungsstabilisierer haben sich für mich aber bisher ganz natürlich angefühlt. So geht es manchen Betroffenen. Andere vertragen wiederum besser die Neuroleptika. Ich habe bei Lithium gar nicht und bei Valproat kaum gemerkt, dass ich etwas schlucke. Bzw. ich habe mich mehr in mir gefühlt. In mir geruht. Ich habe sowohl Lithium als auch Valproat ausprobiert, allerdings nie länger als ein halbes Jahr, da meine Behandlungseinsicht nicht die beste ist (daran arbeite ich gerade).
Zu meiner Erfahrung mit Lithium: Ich habe zuerst nur Neuroleptika erhalten, da nur meine Psychose gesehen wurde. Das war für mich wie Folter. Lithium war das erste Medikament, das mir gezeigt hat, Psychopharmaka können helfen und sich gut anfühlen. Deswegen hat Lithium für mich eine persönliche Bedeutung und ich bin bezüglich Lithium für meine Verhältnisse (mir fällt es schon schwer eine Schmerztablette einzunehmen) etwas romantisierend. Ich habe aber auch von Menschen gehört, die Lithium schrecklich fanden. Probier aus, welche Erfahrung Du machst! Lithium greift leider meine Schilddrüse an (bisher hat sich meine Schilddrüse aber ohne Lithium immer erholt) und ich habe auf Dauer Sorgen um meine Nieren, ansonsten würde ich Lithium ohne Bedenken für immer nehmen, weil es sich für mich toll angefühlt hat. Ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, wie eine kleine Dosiserhöhung mich innerhalb weniger Tage vor einer depressiven Phase bewahrt hat. Das war eine krass gute Erfahrung für mich, weil ich sonst nach jedem Hoch eine Depression habe und unter Medikamenten oft leicht depressiv bin. Eventuell werde ich Lithium in den nächsten Wochen wieder ansetzen. Das werde ich mir in der Klinik in Ruhe ansehen. Ich weiß nicht, ob es eine vergleichbar gut wirkende Alternative für mich gibt und von daher sollte ich mir eventuell eher überlegen, wie ich zum Beispiel mit meiner Schilddrüse unter Lithium umgehen könnte.
Zu meiner Erfahrung mit Valproinsäure: Valproat habe ich nur einmal wenige Wochen und einmal zwei Tage eingenommen, aber es hat bei mir eine angenehm beruhigende Wirkung, holt mich sanft, aber schnell auf den Boden zurück. Allerdings hatte ich ab einer gewissen Dosishöhe starken Durchfall. Ich weiß nicht, ob mein Magen die Valproinsäure auf Dauer vertragen würde. Allerdings kommt für mich Valproinsäure in den nächsten zehn Jahren auf keinen Fall mehr in Frage. Da ich im gebärfähigen Alter bin und ich für mich noch nicht entschieden habe, ob ich Kinder möchte. Solange Kinderwunsch ein Thema für mich ist, werde ich keine Valproinsäure mehr probieren. Mir wurde diese ohnehin nur kurz in der Klinik gegeben, weil ich ich eben eine Frau im gebärfähigen Alter bin.
Ja, Deine äußerlichen Bedenken erscheinen auf mich etwas oberflächlich... Aber ich kann sie auch verstehen und schmunzele ehrlich gesagt etwas über Deine Aussage. Meine Angst ist immer bei Organschäden. Über Gewicht denke ich wenig nach. Ich glaube, Deine Formulierung ist ein bisschen ungeschickt, zumindest wirkt sie so auf mich, weil ich denke, an sich kann fast jeder Mensch nachvollziehen, dass es unangenehm ist, wenn Medikamente das Äußere oder zum Beispiel auch den Sex verändern. Du solltest halt Wirkung und Nebenwirkung abwägen. Und es kann lange dauern, bis Du die passenden Medikamente für Dich gefunden hast (Wie geduldig bist Du? Ich bin diesbezüglich eher ungeduldig und übe mich in Geduld.) und das kann sich über die Jahre zudem verändern, auch was Dir wichtig ist. Einige erleben so krass zerstörerische Phasen, dass ich absolut nachvollziehen kann, wenn diese Personen eine höhere Geduld mit Nebenwirkungen aufbauen.
Ich merke bei mir selbst, dass ich mich teilweise in Nebenwirkungen hineinsteigere. Dabei kann mit diesen oft ein Umgang gefunden werden. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen und Medikamente werden ja nicht ohne Grund verschrieben, zumindest sollten sie das nicht. Die Einnahme ist aber nicht in Stein gemeißelt und kann immer wieder angepasst werden. Ein Arzt hat einmal zu mir gesagt, dass ich gefälligst Schilddrüsenhormone schlucken soll und mich glücklich schätzen sollte, wie gut Lithium bei mir wirkt. Das sei für mich lebenswichtig, weil ich ohne Lithium immer wieder mein Leben gefährden würde. Ich tanze dann zum Beispiel auf Straßen herum, ohne mich um den Verkehr zu kümmern. Irgendwie hat er da schon recht gehabt.
Gewichtsprobleme und Haarausfall und dergleichen hatte ich durch Lithium und Valproat nie. Im Gegenteil. Durch die Ruhe, die mein Körper dann findet, geht es mir äußerlich eher besser. Schlafmangel kann ja auch das Äußerliche auf Dauer negativ verändern. Das ist aber bei jeder Person verschieden. Gewichtszunahme kann extrem sein. Aber teilweise hast Du durch Deine Ernährung und Bewegung einen großen Einfluss auf die Gewichtszunahme.
Haarausfall kann zwar auftreten, aber auch schnell wieder verschwinden. Ich würde nicht gleich in Panik ausbrechen, wenn Du zu Beginn etwas zunimmst und Haare verlierst. Wenn sich das mit der Zeit nicht gibt und extrem wird und nicht gegengesteuert werden kann, dann kann ich nachvollziehen, wenn Du ein anderes Medikament probieren möchtest. Für jede Person ist jede Nebenwirkung anders aushaltbar. Mich würde ein bisschen mehr auf den Hüften nicht stören, aber wenn ich wie ein Hefeteig aufgehen würde, wäre bei mir zumindest zurzeit eine Grenze erreicht. Ein sediertes Gefühl ist für mich persönlich aber zum Beispiel eine schlimmere Nebenwirkung.
Ich wünsche Dir ein Ausprobieren mit angenehmen Ausgang! Und die Neugierde, die Erfahrung offen einzugehen! Letztlich kannst Du erst nach dem Ausprobieren wissen, wie es sich für Dich anfühlt. Teile gerne Deine Erfahrung hier mit. Mich würde interessieren, für was Du Dich entscheidest und wie es Dir damit ergeht.
Viele Grüße von der
Achterbahnfahrerin