Hallo Turicum
Ich habe auch Stigmatisierung erlebt, aber eher am Rande.
Jedoch bin ich der grössten, andauernden Stigmatisierung entgangen, durch das Wegziehen von meinem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, als ich 19 Jahre alt war.
Hier habe ich eine kleinstädtische Anonymität und kann mich sowohl in der 'Szene' bewegen, wo sich auch andere Betroffene von psychischen Erkrankungen aufhalten, also Beschäftigungsangebote, frühere Arbeitsplätze im geschützten Bereich zählten da auch dazu, Tageszentrum, Freizeitangebote und wenn ich die Menschen spontan in der Stadt treffe, gibts eine schöne Plauderrunde. Auch kann ich mich ganz offen bewegen mit ihnen hier und im Cafe über alles sprechen mit ihnen. Egal, wer am Tisch nebenan mithören könnte, das spielt gar keine Rolle.
Ich habe auch Freunde hier, mit denen ich kreativ bin, die nicht direkt betroffen sind von psychischen Erkrankungen, auch ein gutes Umfeld.
Das funktioniert gut, da ich nicht hier aufgewachsen bin.
Denn wenn man in der Kleinstadt alle kennt seit Kindesbeinen, ist die Anonymität auch nicht mehr da.
Das ist ja bei mir glücklicherweise nicht der Fall.
Schon bevor ich erkrankte, erlebte ich, wie andere im Dorf, wo ich aufgewachsen bin Stigmatisiert wurden, gleich die ganz Familie des Betroffenen abgeschrieben und in die irre Ecke gestellt wurden. Das hat mir da schon weh getan, obwohl ich noch nicht viel von Psyche und den Erkrankungen verstand.
Damals hatte das Dorf eine Grösse, da kannte man sich, besonders so wie in meinem Fall, da war ich seit meiner Geburt und meine Eltern kurz davor hingezogen. Sie haben sich interessiert und integriert, auch über Vereine oder über meine Schwester und ich damals als Kinder mit Schule, Freunde und Freundinnen, wir waren gut vernetzt. Es war ein Bauerndorf und wir haben es auch geschafft, da Kontakte zu Haben, obwohl die 'Eingeborenen', da nicht so schnell Kontakte schliessen wollten mit 'Auswärtigen'.
Ich bin mir sicher, dass ich mehr als einmal Anlass zum Dorfgespräch war. Meine Familie ist jetzt nicht komplett abgeschrieben worden, sie haben weitermachen können.
Aber mich selbst hätte es da erdrückt, wennn ich geblieben wäre, selbst wenn vorne durch die Menschen freundlich gewesen wären, ich hätte es bestimmt gewusst oder auch über sieben Ecken erfahren, was die vernichtende Dorfmeinung zu mir wäre. Wer da wieder was genau über mich gelästert hätte hinter den Regalen des Supermarkts.
Heute ist das Dorf um einiges gewachsen, Neuzuzüger können entscheiden, in die Anonymität abzutauchen, da gibt es schon welche.
So ist es vielleicht wegen der Stigmatisierung besser geworden im Allgemeinen, auch wenn der harte Kern dort immer noch weitermacht, wie immer.
Ich habe erfahren, dass in anderen Regionen, gar nicht weit weg von da, zum Beispiel in der Nähe der kantonalen Akutpsychiatrie, lockerer umgegangen wird mit psychisch erkrankten Menschen. Ich durfte viele Situationen erleben, da wurden die Menschen, die phasenweise erkranken oder stabil sind, einfach so genommen werden wie sie sind und sie zum Dorfbild dazu gehören, wie alle anderen auch. Das finde ich sehr schön, also geht es doch.
Liebe Grüsse
Milla
Mit Liebe und Ruhe betrachtet ist die Welt am Schönsten