Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

06. 09. 2022 23:07
Welche Empfehlung würden Sie mir geben?

Hi Elli,
ich sage mal Du, weil das eigentlich in Foren so üblich ist und Du auch nur mit Vor- oder Spitznamen unterschrieben hast.
Meine grundsätzliche Empfehlung lautet: Achte zuerst auf Dich selbst und Deine eigene Gesundheit, erst wenn es Dir gut geht, kannst Du anderen helfen. Sei es nun die Mutter oder die Schwester. Brennst Du aus, hilfst Du niemandem.

Ich versuche mal, Deine Fragen zu beantworten.

Wie werde ich das schlechte Gewissen los?
Niemand ist für die Krankheit Deiner Schwester verantwortlich, sie selbst nicht, aber Du auch nicht. Es besteht keine Verpflichtung, Menschen beizustehen, die sich über Jahre krankheitsuneinsichtig zeigen. Es gibt nicht umsonst Behandler:innen, die es sich zum Beruf gemacht haben, sich um solche Patienten zu kümmern. Natürlich wäre es ideal, es bestünde noch eine Basis, ein Weg miteinander zu reden. Die Zeit dafür ist sicherlich außerhalb einer akuten Episode. Nicht jetzt, da sie in der Geschlossenen ist.

Wie werden Patienten in der geschlossenen Abteilung betreut?
Grundsätzlich untergebracht werden darf man nur mit richterlichem Beschluss nach PsychKG. Der wird allerdings bei Notfällen, die über Nacht aufgenommen werden, in der Praxis erst rückwirkend erstellt.
Wer geschlossen untergebracht ist, darf die Station nicht verlassen. Es gibt meistens ein Raucherzimmer und ein Aufenthaltszimmer, dazu einen Speiseraum. Es gibt Patientenzimmer, die man sich meistens mit anderen Patienten teilen muss. Es gibt aber auch Einzelzimmer - manchmal Beobachtungszimmer mit einer Scheibe zum Dienstzimmer - und es kann sein, dass diese Zimmer verschlossen werden, wenn die Patienten zu unruhig sind.
Es kann zu Fixierungen kommen (bei Fremd- oder Eigenaggression, Zeitungen vom Tisch wischen kann schon reichen), das bedeutet man wird an 5 Punkten am Bett fixiert, also Arme, Beine und Bauchgurt. Dies geht meist einher mit Zwangsmedikation, meist starke Neuroleptika, die gespritzt werden, wenn man nicht "freiwillig" etwas schluckt.
Ansonsten gibts drei Mahlzeiten am Tag und je nach KH und Station unterschiedliches Therapieangebot.

Stimmt es, dass man ihr dort nicht hilft, sie keine Unterstützung bekommet, man ihr nicht hilft an die Papiere zu kommen etc.?
Im Einzelfall kann ich das nicht sagen, aber im Allgemeinen stimmt das nicht. Es gibt extra Sozialarbeiter, die dafür zuständig sind, einem bei Papierkram zu helfen. Es kann aber sein, dass es Deiner Schwester gerade zu schlecht geht und man daher damit noch abwartet oder dass sie Einsicht in ihre Patientenakte haben will, dies wird oft verweigert. (Ich weiß nicht, was hier mit "Papiere" gemeint ist, das ist ein weites Feld. Mir wurden einmal Portemonnaie und Handy abgenommen, damit ich damit keinen Unsinn anstelle, weil ich in großer "Verschenkelaune" war.

Wie kann ich dies herausfinden?
Nur in Kooperation mit Deiner Schwester, wenn sie den Behandelnden ihr Okay gibt, denn ihre Daten müssen auch Dir gegenüber geschützt werden. Die Psychiatrie hat strengere Auflagen als andere Bereiche des Krankenhauses. Bei mir hat es einmal drei Tage gedauert, bis ich ansprechbar war, vorher konnte mein Mann nicht benachrichtigt werden.

Meine Schwester möchte auf keinen Fall, dass ich Auskunft bekomme.
Das ist ihr gutes Recht. Wenn sie nicht möchte, dass Du Dich einmischt, warum fühlst Du Dich dennoch verpflichtet, Dich zu kümmern, obwohl es Dich so stark belastet? Oder denkst Du, sie würde bei klarem Verstand Fürsorge von Dir wünschen?

Was kann ich wie dennoch in Erfahrung bringen?
Du kannst Dich von den behandelnden Ärzten allgemein über die Krankheit Deiner Schwester aufklären lassen, ohne auf den einzelnen Fall einzugehen.
Um in einer Situation wie dieser Auskunftsrecht und andere zu haben, hätte Deine Schwester bei einem früheren klaren Geisteszustand eine Verfügung aufsetzen müssen, die Dich berechtigt / bevollmächtigt, je nachdem, was ihr vereinbaren wollt. Fürs nächste Mal sicher interessant.
Mein Mann hat eine Bankvollmacht. Wir hatten auch schon mal einen Notfallplan für eine Krise ausgearbeitet mit der Integrierten Versorgung zusammen und ich habs dann im manischen Wahn buchstäblich in der Luft zerrissen.
Eine Betreuungsvollmacht wäre hilfreich, vorausgesetzt Du willst sie überhaupt selbst betreuen. Es gibt ja auch Leute, die so etwas beruflich machen (und die werden eingesetzt, wenn nicht beizeiten jemand bevollmächtigt wurde).

Kann ich aufhören, die Telefonate mit meiner Schwester zu ertragen und ablehnen mit ihr zu sprechen? – auch wenn hier in den Infoflyern auf die Beziehung zu den Angehörigen hingewiesen wird?
Ja, natürlich. Ich würde das aber mit den behandelnden Ärzten besprechen. Sie dürfen Dir nichts über Deine Schwester sagen, aber sie dürfen Dir zuhören.

Wie kann ich mir am besten zu mehr innerlicher Ruhe verhelfen?
Ich empfehle gerne binaurale Klänge zum Abbau des Langzeitstresshormons Cortisol, vor allem bei Schlafmangel.
Ansonsten hilft mir auch manchmal Progressive Muskelrelaxation.

Wie kann es in so einer Situation am besten weitergehen?
Du weißt ja, was Du willst. Du willst Deine Schwester nicht in Deinem Haus. Das lässt sich durchsetzen mittels einstweiliger Verfügung. Die Polizei war ja schon involviert. Vielleicht musst Du noch einige Wiederholungen des "Beobachungspostens" abwarten. Vielleicht hast Du auch einfach so Ruhe.
Für Deine Schwester kann es so weitergehen, dass sie nach der geschlossenen auf die offene Station verlegt wird. Danach könnte sie eine Tagesklinik besuchen, sich ambulant betreuen lassen, sich auf eine Phasenprophylaxe einstellen lassen. Hilfsangebote gibt es viele. Man muss sie nur annehmen. Es gibt auch ambulantes betreutes Wohnen, wenn sie nicht in eine WG will (wäre auch nichts für mich).

Alles Gute für Dich.

---
Pronomen: er, Baujahr 80, GdB 50, voll erwerbsgemindert, berufsunfähig
Diagnosen: 03/2009 rezidiv. Depression, 06/2012 schizo-affektive Störung, 08/2016 bipolare Störung, 02/2019 Psoriasis, 03/2019 Psoriasisarthritis, 10/2021 Schlafapnoe, 07/23 VD ME/CFS u.a.
Medis: Valproat 500mg 1-0-2-0, Olanzapin 2,5mg 0-0-0-1, bei Bedarf Perazin 25mg 1-3x/Tag u.a.

Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.
Thema Autor Klicks Datum/Zeit

Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Elli68 1216 04. 09. 2022 20:12

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Leuchtturm1 349 05. 09. 2022 08:46

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Elli68 356 05. 09. 2022 17:15

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Hotte 404 06. 09. 2022 23:07

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Elli68 426 09. 09. 2022 00:12

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

FLYHIGH 213 07. 09. 2022 14:50

Re: Bitte um Verhaltensempfehlung für mich als Angehörige

Elli68 161 09. 09. 2022 00:01



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