Meine liebe „Schwester im Geiste“ :),
Schon verrückt… Auch ich bin in einem sozialen Job tätig. Und wir beide scheinen uns „Arbeit mir nach Hause zu nehmen“.
Mein Freund ist eher lieb und „gebrochen“ im Moment. Aber ich habe erst richtig begriffen, wie viel ich ihm immer abgenommen habe. Wenn er sich aufgeregt hat, habe ich Dinge für ihn getan, damit er dich nicht mehr aufregt. Bestärkt habe ich eher das Aufregen, weil ich ihn so ja entlastet habe. Er ist eigentlich total überfordert mit ganz vielen Dingen. Eine Rechnung - schon zu viel. Die Briefe stapeln sich, er macht sie nicht mehr auf. Ich bin ganz anders gestrickt. Muss meine Verbindlichkeiten immer zuerst geklärt haben. Dieses Wegrennen, weil er eine Schicht nicht arbeiten möchte - Statt dass er mit dem Arbeitgeber redet, dass er eine andere Schicht kriegt. Die hätten ihn unbefristet eingestellt. Und gebraucht. Ich versteh es nicht mehr, aber ich muss es wahrscheinlich nicht.
Jedenfalls will ich das durchbrechen, dass ich mich so aufopfere, dass jemand gar nichts tun muss. Ich kann nicht die Verantwortung für mein UND sein Leben tragen.
Er muss das eigentlich alles selbst auf die Reihe kriegen. Sicher ist er gerade auch depressiv und bekommt deshalb so wenig hin.
Ich bin im Moment an meiner Grenze und hätte etwas ganz anderes gebraucht. Deshalb bin ich lieber allein und für mich da, damit ich heile. Gerade muss mal ich im Mittelpunkt stehen und er kann nicht für mich da sein, da immer er im Vordergrund steht. Und meinen Rat oder irgendwas will. Ich hab mich immer gut gefühlt und bestärkt. Aber eigentlich war das alles auch nicht gut.
Er macht sich jetzt Hoffnung, dass nicht alles aus ist, weil ich noch etwas fühle. Aber ich fühle auch, dass ich unter der Last zerbreche. Er will immer, dass man ihm alles abnimmt. Passiert bei mir auch nicht. Wir haben ausgemacht, uns nach der Klinik nochmal zu treffen. Aber ich merke, dass ich alleine sein muss. Trotzdem werde ich mir ständig Sorgen machen, weil er mir das Gefühl gibt, alleine nicht klarzukommen. Aber er ist erwachsen, er sollte das können…
Ich denke, es ist sehr schwer, wenn es gut läuft, die negativen Dinge zu sehen. Bestimmt bist du auch froh um kurze Momente der Normalität - Die tun einfach gut. Du opferst dich so sehr auf (so etwas kenne ich…) und bekommst nicht viel dafür. Es wird hingenommen und er scheint es dir sogar entgegenzuschmeißen. Er hatte eine schlimme Kindheit, ja. Meine Mutter auch, und sie schafft es, ein relativ normales Leben zu führen. Nicht jeden anderen verantwortlich zu machen. Sie ist eher zu empathisch. Er nutzt seine Schwäche, um sich dahinter zu verstecken. Du bekommst nur das Ganze. Es gab auch schöne Momente, aber der Rest ist, dass du etwas tust, von dem er profitiert.
Vielleicht siehst du es so, dass die wahren Gefühle nur bei Distanz rauskommen.
Wie kannst du sicher ohne ihn ausziehen? Was könnte er versuchen und wie kannst du dich schützen? Du kennst ihn gut und kannst das sicher einschätzen. Ich denke, es ist wichtig, dass du dich schützt. Mit ist durch Distanz viel klar geworden. Aber ich denke, du wirst zusätzlich kleingehalten und weil du so „gebraucht“ wirst, fühlst du dich manchmal belohnt. Gefühle sind sehr vertrackt…
Ich drücke dir die Daumen, dass du den Lockdown gut überstehst.
Wollen wir hier oder vielleicht privat weiter schreiben?
Liebe Grüße