Ich habe gemerkt, dass mir Abstand sehr gut tut. Ich habe ihn nach einem Ausraster gebeten, in unserem dritten Zimmer zu schlafen. Das allein hat mir schon geholfen, Distanz zu kriegen und nicht mehr nur über ihn nachzudenken. Das Trinken möchte er selbst nicht mehr, aber wenn er in dem Strudel drin ist, kommt er kaum raus. Ich habe gemerkt, dass ich mich viel besser fühle, wenn ich ihn einfach machen lasse und mir keine Sorgen mache. So ist er nunmal.
Das ist keine Basis für eine Beziehung, aber diese Art zu denken tut mir einfach gut.
Er ist sehr lieb, seine Ausraster waren häufig kleiner und manchmal kam auch eine Entschuldigung oder ich hab sie mir geholt. Das war nicht so schlimm. Ich weiß, dass er nur Gutes für mich will. Und er hat mir nichts angetan, mich nicht betrogen, er hat mich sogar durch seine liebe Art aus einer toxischen Beziehung gerettet. Und dieses Wechselhafte ist zwar anstrengend, aber manchmal auch schön. Er will immer nur mein Bestes. ABER… er steht sich im Weg, fängt keine Therapie an, will alles selbst hinkriegen.
Ich bin gerade in einer Situation, in der ich am Limit bin und ganz viel bräuchte. Ironischerweise oder gerade deswegen merke ich, was mir fehlt, und wie ich ständig gebe, obwohl ich eigentlich leer bin. Scheinbar musste ich erst RICHTIG an meine Grenzen kommen, um das auch wahrzunehmen.
Als er in die Klinik ist, hatte er Medikamente reduziert und wenig geschlafen. Aber prinzipiell nimmt er sie. Er kann vielleicht andere Störungen eher akzeptieren als Bipolarität, aber daran arbeiten will er auch nicht. Er reagiert extrem und dann tut es ihm leid und er hat eigentlich Angst, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Was mir geholfen hat, ist, dass ich zu der Zeit angefangen habe, mehr für mich zu tun. Mich mit Leuten zu treffen (einfach mal fragen - vielleicht sagen sie Ja?), meinen Aktivitäten nachzugehen. Dadurch habe ich etwas mehr Stabilität in einem Ausnahmezustand für mich bekommen. Ich war damals total überarbeitet, eigentlich sollte es mein Urlaub sein. Ich hab dann um 10 Uhr nachts den Balkon bepflanzt und solche Dinge getan, wann ich will, was ich will. Das hat mich mir näher gebracht und wirklich geholfen, weil es einiges gab, was ich vorhatte.
Ich habe viel Gutes und Liebes von ihm bekommen und bin trotzdem an dem Punkt angekommen, an dem ich sehe, dass ich es nicht mehr schaffe. Es zu viel zu tragen ist, wenn er keine Therapie angehen will, wieder wegläuft.
Wir haben gestern geredet, lange und ausführlich. Erst war es sehr emotional, dann wurde es besser. Er hat selbst gesagt, dass ich mich trennen muss, wenn er mir nicht gut tut. Wir haben jetzt ein paar Sachen stehen lassen und ausgemacht, weiter zu reden. Es hat mir gut getan, gestern wieder emotionale Nähe zu spüren, aber auch, dass wir alles angesprochen haben. Und dass ich mich aus seinem Chaos rausnehme. Bei vier Jahren geht es Schritt für Schritt. Gestern hat er mich sogar zum lachen gebracht. Das war alles sehr heilsam, gerade, da ich selbst wegen den Todesfällen in der Familie so kaputt bin und eigentlich keine Abschiede mehr möchte. Aber daher alles langsam.
Wahrscheinlich wirst du auch realisieren, wie viel du gibst und wie wenig du bekommst, wenn du deinen Weg weiter gehst und viel für dich tust. Das ging bei mir auch nicht von jetzt auf gleich, aber so langsam…
Ich finde es schwierig, die verschiedenen Anteile zusammenzubringen. Ich habe aber beim Nachdenken gemerkt, dass die Dinge, die ich schätze und so vermisse, bereits sehr lange zurückliegen. Und ich immer weniger wichtig wurde, aber immer noch dieselbe (oder sogar mehr) Energie reingesteckt habe. Vielleicht ist es bei dir ähnlich. Und wie ich kannst du dir nicht einzelne Persönlichkeitsanteile raussuchen, die dir passen, sondern du kriegst das Gesamtpaket.
Ich wünsche dir, dass du dich (in deinem Tempo) lösen und auf dich konzentrieren kannst. Und somit langsam alles klarer siehst.
Liebe Grüße