Hallo Mania,
es freut mich, dass du endlich eine Antwort bekommen hast und dazu noch eine, die zumindest im Wortlaut was die Zwangsmaßnahme betrifft eine Hand hinhält. Dass sie auf die Überdosierung nicht so eingehen, wird sicherlich rechtliche Gründe habe, denn wenn sie eingestehen, dass sie überdosiert haben, könntest du oder andere dagegen klagen und dies als Schuldeingeständnis verwenden.
Aber nun zu deiner interessanten Frage, ich würde es für mich zweigeteilt sehen, einerseits "Vermeidung von Zwangsmaßnahme, wie Fixierung" also eher prophylaktische Maßnahmen ergreifen, dass es zu solchen extremen freiheitsentziehenden Maßnahmen gar nicht erst kommt und falls tatsächlich nichts anderes hilft, dann Alternativen.
Vermeidung von Zwangsmaßnahmen:
-> Eine Verringerung von Zwangsmaßnahmen können durch Anstrebung einer anderen Haltung, gut geschultes und gut aufgestelltes (genügend Personal) Personal und Beteiligung von Betroffenen in der Qualitätssicherung anvisiert werden
-> Druck zum Beispiel in der Medikamentenvergabe erzeugt gerade in einer voll ausgeprägten Manie zu entsprechenden wütenden und ggf. aggresivem Verhalten, gerade hier kann man ggf. im Vorfeld (also in einer eher krisenfreien Zeit) durch Behandlungsvereinbarung und die Nutzung eines Krisenpasses, wenn vorhanden, zumindest den Willen des Betroffenen mit heranzeihen, auch wenn dieser in der Krise einen ganz anderen Willen hat. Dazu gehören natürlich auch regelmäßige Deeskalationsschulungen. Andere Kliniken und Ärzte haben es schon teils umgesetzt. Dazu gibt es Veröffentlichungen von Dr. Martin Zinkler und in Berlin das Weddinger Model.
-> Workshop und Ausarbeitung einer Umgestaltung der Psychiatrie und neuen Haltung in der Psychiatrie. Dabei sollten PflegerInnen, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen, mehrere Betroffenenvertreter und Angehörige vertreten sein. Im ersten (oder ersten beiden) Workshop/s empfiehlt es sich, zunächst alle Bedenken, Vorurteile, Erwartungen und Erfahrungen auf den Tisch zu bringen und sich darüber auszutauschen. In den folgenden Veranstaltungen kann dann die Arbeit aufgenommen werden und versucht werden, eine andere Haltung zu etablieren, wie auch andere Vorgehensweisen diskutiert werden und ein Umsetzungsplan ausgearbeitet werden. Es ist wichtig, dass die Betroffenen-Seite mit mehreren Personen dabei ist und nicht das Gefühl bekommt, sie seien nur Beiwerk.
Alternativen zur Fixierung und Umgang mit Zwangsmaßnahmen
-> Deeskalationsraum/Ruheraum/Time-Out-Raum
-> Für diese Zeit Bereitstellung eines Ansprechpartners
-> Maßnahme so kurz wie möglich
-> Anbieten von Wahlmöglichkeiten und Alternativen
-> Niemals eine Zwangsmaßnahme als erzieherische Maßnahme anwenden
-> Transparentes Vorgehen, vor, während und nach solchen Maßnahmen
Nach einer Zwangsmaßnahme
-> Mehrmaliges zeitnahes anbieten eines klärenden Gespräches
-> Die Ängste und das empfundene Leid des Menschen in dieser Situation anerkennen
-> Zusätzliche Gesprächstermine nach einem längeren Zeitabschnitt (nach einem Monat, einem halben Jahr)
-> Behandlungsvereinbarung mit Betroffenen aktualisieren, um mögliche Erkenntnisse einzuarbeiten, die zur Verhinderung von Zwangsmaßnahmen führen können
Allgemeines
-> Bezugsbetreuungswechsel von beiden Seiten möglich
-> Rotationsprinzip, klinisches Personal welchselt von Zeit zu Zeit in den ambulanten Bereich und wieder zurück, um auch andere Perspektiven außer Akutsituationen zu kennen
-> ehemalige Patienten werden standardmäßig nach einem Jahr zu einem Gespräch eingeladen, um auch deren Entwicklung zu sehen
-> Abbau von Hierarchien, Begegnung auf Augenhöhe gelingt besser, wenn Augenhöhe ebenso im Team praktiziert wird.
-> Personal zieht sich nicht immer in ihren Raum zurück sondern hält sich auch ohne direkte Termine bei den Menschen auf, die gerade auf einer Station sind, um dieses "Die und Wir" aufzulösen und einen besseren Kontakt zu bekommen.
Das sind erst mal meine Gedanken dazu.
Viele Grüße Heike
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Ich bin ein Mensch mit vielen Farben und Facetten zeitweise unterbrochen durch unipolar depressiven Phasen, im MD-Forum schon seit 2002 vertreten.
"Recovery zielt nicht auf ein Endprodukt oder ein Resultat. Es bedeutet nicht, dass man ›geheilt‹ oder einfach stabil ist. Recovery beinhaltet eine Wandlung des Selbst, bei der einerseits die eigenen Grenzen akzeptiert werden und andererseits eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten entdeckt wird. Dies ist das Paradoxe an Recovery: Beim Akzeptieren dessen, was wir nicht tun oder sein können, beginnen wir zu entdecken, wer wir sein können und was wir tun können" (Patricia Deegan 1996).