Hallo,
ich möchte der negativen Kritik mal
vorsichtig wiedersprechen.
Bisher hat mir gegenüber
kein Arzt (Hausarzt, Psychologe, Neurologe, Klinikarzt) einen
Zusammenhang zwischen Ernährung und affektiver Störung erwähnt. Das geht eigentlich nicht.
Von einem potentiellen Zusammenhang lese ich hier zum erstenmal. Dabei liegt es (nach nun einiger Recherche) doch wirklich auf der Hand:
Zucker -> Hochgefühl, Energie
kein Zucker -> Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Verstimmtheit, leichte Agressivität
Und Kohlenhydrate sind im Grunde verlängerte Zuckerketten
Das ist für mich eine Tatsache, der glaube ich viele zustimmen können. Ist das nicht eine ausreichende Basis für umfangreiche Forschung? Klar, die Aussagen von Strunz und Oehlschläger sind mir auch nicht wissenschaftlich genug, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Sie recht haben bewerte ich aus eigener Erfahrung recht hoch.
Warum?
Ich bin seit 2012 mit Bipolar I diagnostiziert. Damals ca. 25 Jahre alt. Die Krankheit stecke ich überraschend gut weg - dazu gleich mehr. Manien sind heftig, aber mein soziales Umfeld, insbesondere die Familie, fängt mich auf. Depressionen sind eher schwach, aber ich verzichte auch vollständig auf Medikamente außerhalb der akuten Manie (ca. 2-4 Monate). Das Olanzapin setzen wir schrittweise nach der Manie ab.
Seit der ersten akuten Manie hatte ich bis heute 2 weitere (2012, 2018, 2020). Die letzten beiden waren jeweils mit einem kurzen Klinikaufenthalt verbunden (7-14 Tage). Anschließend 3-4 Monate leichte Depression. Dann normales Leben. Ja, viel Glück gehabt. Oder Ernährung?
Für mich eine ganz neue Perspektive der ich nachgegangen bin.
Mein Erfahrungsbericht zum Krankheitsverlauf:
Tatsächlich - aus purem Zufall - hatte ich vor meiner ersten Manie mit einer Atkins-Diät angefangen. Kombiniert mit viel Sport habe ich sehr gut abgenommen. Im Winter 2011 hatte ich mein Zielgewicht nach nur 3 Monaten Diät erreicht. Den BMI habe ich von ca. 28 auf 24 gedrückt. 1,5 - 2 kg Gewichtsabnahme pro Woche. Es gab damals dann keine Gründe mehr die low-carb Diät fortzusetzen, da ich weiter viel Sport gemacht habe. Ca. 3-4 Monate später kam meine erste diagnostizierbare Manie. Drogen? Nein, also Bipolar...
Durch das Olanzapin hat sich natürlich der Jo-Jo-Effekt verstärkt. Sport fiel in der Depression und auch aus beruflichen Gründen (viel Reisen) aus. Also fing ich zum Jahreswechsel wieder mit einer Atkins-Diät an. Ich war
6 Jahre symptomfrei. Einen Zusammenhang habe ich nicht gesehen. Ich habe die Diagnose der Ärzte angezweifelt.
Rückblickend habe ich immer wieder low-carb Diäten gemacht, aber nie mehr so krass durchgezogen wie beim ersten Mal, sodass ich alle 4-5 Monate eine neue Diät angefangen habe. Immer wieder kamen Anlässe (Partys, Reisen, Feste) dazwischen, die es schwierig gemacht haben die Diät konsequent beizubehalten. Und ein BMI von 26-27 war aktzeptabel. Vielleicht hat sich die unstetige low-carb Ernährung bereits stabilisierend ausgewirkt... ?
2018 kam dann meine zweite Manie. Tatsächlich, das zeigen meine Gewichtsdaten (Bluetooth-Waage seit 2012), wieder 3 Monate nachdem ich meinem Idealgewicht sehr nahe war, aber zugenommen habe. Also ohne eine low-carb Diät. Tja, die Diagnose war also ggf. doch richtig. Überzeugt war ich noch nicht...
Weiterhin habe ich keinen Zusammenhang zur Ernährung gesehen. Bei den ersten beiden Manien habe ich als Auslöser wirklich Stress und Überbelastung gesehen. Ich hatte viele berufliche und private Erfolge und immer mehrere Projekte parallel. Kinder, Haus, Karriere, das volle Programm. Eine Belastungsgrenze gab es für mich nicht.
Sehr überraschend kam dann die dritte Manie im Pandemiejahr 2020. Gar kein Stress - Home-Office das ganze Jahr. Unser Familienleben war gut sortiert. Meine Frau noch in Elternzeit. Haus fertig. Keine beruflichen Reisen. Super entspannt. Rückblickend sehe ich hier nur die Ernährung und Bewegung als potentiellen Auslöser!
Tatsächlich hatte ich zwischen den beiden Lockdowns wieder hart auf low-carb umgestellt. Ultra viel Sport gemacht (BMI 25) - Dank Home-Office ;-). Dann kam der zweite Lockdown im September. Schwimmbäder mussten schließen, begleitet durch Kontaktbeschränkungen. Mein Sportprogramm brach zusammen und die Ernährung war schnell Nebensache. Eine Diät ohne Sport kam für mich noch nie in Frage.
Die Manie kam wieder 3 Monate später im Dezember. An der Diagnose besteht nun für mich kein Zweifel mehr. Wieder haben wir die Medikamente binnen 4 Monate abgesetzt. Aber die Anerkennung der Krankheit hat die Depression deutlich verstärkt. Es war nicht so leicht wie sonst einfach weiter zu machen. Schokolade hat geholfen.
Seit Anfang Juni 2021 (vor 3 Wochen) habe ich wieder eine Atkins-Diät angefangen (BMI 29) und dann bin ich kürzlich auf diesen Beitrag im Forum gestoßen.
Jeder kann seine eigene Meinung zu Low-Carb haben, aber für mich setzen sich die Puzzelteile nun sehr gut zusammen. Anhand meiner Krankschreibungen konnte ich den Zeitpunkt der Manien rückwirkend nachvollziehen und durch die Teilnahme an Sport-Events, sowie die Datenauswertung meiner digitalen Bluetooth-Waage, weiß ich wann ich mich low-carb ernährt habe.
Meine Manien kamen immer 3 Monate nach dem Ende einer low-carb Ernährung. Ist das noch Zufall? Kann sein. Ich sehe noch lange keinen Beweis für einen Zusammenhang, aber die low-carb Ernährung bietet mir zahlreiche Vorteile.
Nun ist der Beobachtungszeitrum in dieser aktuellen Diät-Phase noch sehr kurz, aber im Vergleich zu meiner Emotionslage von Januar-April fühle ich mich viel, viel besser (keine Manie, einfach stabil, normal). Die Medis habe ich im März/April abgesetzt. Die Besserung kam aber erst im Juni. Ja! Relativ schlagartig durch die low-carb Diät. Natürlich auch verbunden mit sehr viel Sport. Die Schwimmbäder haben seit Anfang Juni auch wieder offen. Bewegung ist ja immer gut bei Depressionen.
Eigentlich hatte ich durch die Aktzeptanz der affektiven Störung diesmal erwogen das Olanzapin (2,5 mg) weiter zu nehmen und ggf. auch mal Lithium zu probieren - Phasenprophylaktikum. Ich fühle mich aber bei der Einnahme deutlich gedämpft - auch bei 2,5 mg. Müde, antrieblos, emotionslos - klare Nebenwirkungen!
Basierend auf dem oben dargestellten Krankheitsverlauf setze ich stattdessen zuversichtlich auf Low-Carb - nicht mehr als Diät sondern als Lebensstil. Es kann gut sein, dass die nächste Manie in Kürze kommt, aber das verhindert die Phasenprophylaxe ja auch nicht. Im besten Fall kann ich wie Frau Oehlschläger nun die Jahren zählen, die beschwerdefrei ablaufen.
Eins ist sicher: Die Ernährungsumstellung hat bei mir keine Nebenwirkungen. Ganz im Gegenteil. Mein Wohlbefinden ist deutlich gesteigert. Ich habe wieder sportlichen und beruflichen Ehrgeiz. Möchte Ziele erreichen und habe auch Energie. Ein Zustand an den ich eigentlich nicht mehr geglaubt habe. Ich war kurz vor dem Antrag auf Erwerbsminderungsrente...
Die Gewichtsabnahme tut gut und der relativ konstante Blutzuckerspiegel durch Ketose stabilisiert die Stimmungslage und erhöht die kognitive Leistungsfähigkeit. Risiko? Ja. Aber mein soziales Umfeld lässt das zu.
Die anderen Zusammenhänge zwischen Epillepsie und Low-Carb wurden ja bereits angesprochen.
Ich wünsche mir mehr Studien zu dem Thema.
Anmerkung 1: Man könnte aus den Schilderungen auch schließen, dass die Low-Carb Diät die affektive Störung ausgelöst hat. Tatsächlich gab es aber auch vorher schon leichte Episoden und es liegt auch eine familiäre Vorbelastung vor.
Anmerkung 2: Medizin, insbesondere Psychologie, ist kein exakte Wissenschaft!
Anmerkung 3: Jeder ist bipolar. Manche mehr und andere weniger.
5-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.06.21 12:12.